Woody Allen über Paris:"Stellen Sie sich diese Schönheit vor!"

Lesezeit: 4 min

Er hat 42 Filme gedreht, doch mit großen Meistern wie Bergman, Kurosawa oder Buñuel will sich Woody Allen immer noch nicht messen. Ein Interview über verpasste Lebenschancen, lästige Sterne-Restaurants und seinen neuen Film "Midnight in Paris".

Tobias Kniebe

SZ: Sie sind jetzt 75 Jahre alt und liefern doch jedes Jahr mit größter Pünktlichkeit ein neues Werk ab. Wovor haben Sie eigentlich Angst?

Es hilft ihm sehr, im Rythmus zu bleiben: Woody Allen übt jeden Tag Klarinette und geht jeden Tag in den Fitnessraum. (Foto: AFP)

Woody Allen: Nehmen wir an, der vorherige Film ist gerade fertig geworden. Dann sitze ich da und frage mich, worauf ich jetzt denn so Lust habe. Und es stellt sich unweigerlich heraus: Ich habe Lust zu schreiben.

SZ: Andererseits wissen wir nicht zuletzt aus Ihren Filmen, dass der Mensch in einem sinnlosen Universum lebt. Nichts wird ihn retten, schon gar nicht die Kunst. Wer in dieser Stimmung sagt, er mache jetzt mal Pause - der schreibt danach vielleicht nie wieder eine Zeile.

Allen: Ja, das könnte sein. Es hilft schon sehr, im Rhythmus zu bleiben. Ich übe auch jeden Tag Klarinette, und ich gehe jeden Tag in meinen Fitnessraum. Wenn ich einen Tag mal auslasse, fällt mir alles am nächsten Morgen schon schwerer. Andererseits . . . Ich wüsste im Ernst auch gar nicht, was ich tun sollte, wenn ich ein Jahr freinehmen würde.

SZ: Die meisten Menschen tun dann etwas, das sie "leben" nennen.

Allen: Aber was soll das heißen? Du stehst morgens auf. Du machst einen Spaziergang. Du guckst ein bisschen Fernsehen, du besuchst vielleicht ein Museum. Ich weiß, es gibt Menschen, die können das. Die gehen auch ganz früh in den Ruhestand, sobald sie genug Geld verdient haben. Und dann haben sie Spaß. Treffen ihre Freunde zum Mittagessen, spielen ein bisschen Golf. Sie haben diese beneidenswerte Gabe, das Leben zu genießen.

Carla Bruni dreht mit Woody Allen
:First Actress

"Ich bin gar keine Schauspielerin", sagt Carla Bruni. Im neuen Woody-Allen-Film "Midnight in Paris" hat sie trotzdem eine kleine Rolle übernommen. Wer braucht schon Talent, wenn er im Elysée-Palast wohnt?

Tanja Rest

SZ: Und Sie?

Allen: Ich habe diese Gabe nicht. Da bin ich mir inzwischen sicher.

SZ: Aber es ist doch wahr, dass Sie als junger Mann einmal überlegten, Ihre Komiker-Karriere in den USA aufzugeben und nach Paris zu ziehen, um von Luft und Liebe und großen Ideen zu leben?

Allen: Absolut. Ich hatte nur leider nicht den Mut dazu. Dabei wäre es kein großer Schritt gewesen. Ich hätte eigentlich nur dort bleiben müssen.

SZ: Sie lebten bereits in Paris?

Allen: Ja, für acht Monate. Das war im Jahr 1964. Ich drehte dort meinen ersten Kinofilm "What's New, Pussycat?", nebenbei gesagt eine schreckliche Enttäuschung. Ich hatte das Drehbuch geschrieben, und das Studio machte wirklich alles falsch damit: jeden Tag die schlimmstmögliche Fehlentscheidung. Aber Paris war natürlich wunderbar. Ich war fürstlich einquartiert, im Hotel George V., ich erlebte den Wechsel der Jahreszeiten, vom Frühling über den Sommer bis in den Herbst hinein. Es war phantastisch.

SZ: Im französischen Kino war die Nouvelle Vague in vollem Gange, Sartre lehnte gerade den Nobelpreis ab, langsam braute sich ein revolutionärer Geist zusammen . . . Was für ein Gefühl war es, sich diese Stadt damals zu erobern?

Allen: Nun, um ganz ehrlich zu sein: Erobern würde ich es nicht gerade nennen. Mein größtes Vergnügen war es zum Beispiel, jeden Abend in derselben kleinen Brasserie zu essen. Die lag nur ein paar hundert Meter vom Hotel entfernt, die Brasserie Boccador in der Rue Boccador. Dort saß ich dann, und ich aß wirklich jeden Abend das Gleiche: Suppe mit Brot, Seezunge, Crème Caramel. Wenn jemand vom Studio das Filmteam in ein berühmtes Sternerestaurant eingeladen hatte, empfand ich das fast als Belästigung. Ich wollte zurück in meine kleine Brasserie.

SZ: Doch nach dem Ende der Dreharbeiten haben Sie trotzdem das Flugzeug nach Hause genommen . . .

Allen: Ja, wissen Sie, sonst hätte ich New York aufgeben müssen. All die Straßen, die ich kannte, all die Freunde, all die alten Gewohnheiten. Außerdem sprach ich ja kein Französisch. Im Rückblick denke ich, dass das alles Ausflüchte waren. Ich traute mich einfach nicht.

Angeben für Anfänger
:Am I Legend?

Woody Allen ist eine - genau wie Michael Jackson. Aber ist man schon unsterblich, weil man seit 40 Jahren dieselbe Mütze trägt? Alles, was Sie wissen müssen über: Legenden.

K. Riehl

SZ: Der Held von "Midnight in Paris", der traut sich. Er bleibt am Ende einfach da. Sagen Sie nicht, Sie haben das falsche Leben gelebt . . .

Allen: Nein, nein. Ich habe dann ein paar sehr ordentliche Filme in New York gedreht. Sie reichen nicht an die ganz großen Meister heran, die ich verehre, an Bergman, Kurosawa, Renoir oder Buñuel. Da muss man realistisch bleiben. Aber wenn man mit großer Regelmäßigkeit Filme macht, so wie ich das tue, dann kommt zwangsläufig auch mal was dabei raus, was nicht ganz so schlecht ist.

SZ: Wären Sie dann eher der Typ für den Zeitreise-Kurzurlaub am Wochenende? Ein Abend in den wilden Zwanzigern, ein Besuch in der Belle Époque . . .

Allen: Da hätte ich ganz sicher nichts dagegen! Wenn wir ehrlich sind, wollen wir ja doch nicht das ganze Programm. Ich denke gern an die Belle Epoque in Paris, eine sehr verführerische Ära - Champagner und tanzende Frauenbeine im Maxim's, und mittendrin die Maler Toulouse-Lautrec, Gauguin und Degas. Nur: Wenn ich am nächsten Morgen dann Blut spucken würde und feststellen müsste, dass ich Tuberkulose habe - ich würde ausflippen! Dann doch lieber kleine Trips zurück in die Zeit, da die Champs-Élysées plötzlich vom Disney-Store befreit sind und von den Kino-Billboards mit den amerikanischen Blockbustern, und der ganze Touristen-Ramsch in der Rue de Rivoli ist auch verschwunden. Stellen Sie sich mal diese Schönheit vor!

SZ: Die Franzosen jedenfalls scheinen Ihre Liebe zu erwidern. Ich bin eine Ikone in Frankreich, haben Sie mal gesagt - wie Schnecken.

Allen: Das war ein satirisches Stück für die New York Times . . . In meiner Welt kann man nicht sagen: In Frankreich bin ich eine Ikone - und das dann einfach stehen lassen. Da muss noch eine Pointe dran, die aus dieser pompösen Idee wieder die Luft rauslässt. Also dachte ich an eine Art Gegenbild, an etwas besonders Niedriges, Schleimiges, was die Franzosen aber auch sehr gern mögen.

© SZ vom 18.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: