Uwe Tellkamp in der Kritik:Wo politische Meinung aufhört und Wahnsysteme anfangen

Suhrkamp distanziert sich von Autor Tellkamp

Die Lava durfte sich ganz zivil entladen - das ist ja schon mal was. Uwe Tellkamp (l.) und Durs Grünbein mit Moderatorin Karin Großmann im Dresdner Kulturpalast.

(Foto: dpa)

Natürlich darf Uwe Tellkamp rechtspopulistische Thesen herunterbeten. Man müsste dann nur aufzeigen, wo sie in plumpe Ressentiments kippen. Leider will nur gerade keiner der sein, der solche Grenzen definiert.

Von Johan Schloemann

Wie geht es weiter mit Uwe Tellkamp? Die Frage betrifft die politische Debatte, die Literatur und beides im Verhältnis zueinander.

Zum einen ringt der Dresdner Schriftsteller sichtlich mit seinem literarischen Stoff. Eine Fortsetzung seines 2008 im Suhrkamp Verlag erschienenen, später auch verfilmten Bestsellerromans "Der Turm" war schon länger angekündigt. Das Buch soll, so der letzte Stand, "Lava" heißen und laut Verlag "voraussichtlich" im Herbst 2019 erscheinen. Unsicher ist aber bisher, ob das Epos vom Dresdner Bürgertum im nächsten Teil in die Zeit zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung, wie der Autor zunächst in Aussicht stellte, oder doch weit darüber hinaus ausgreifen soll, also näher in die Gegenwart.

Ganz nah bei den besorgten Bürgern

Zweitens ringt Uwe Tellkamp mit ebendieser Gegenwart, besonders mit dem politischen Streit um die Asylpolitik seit 2015. Ein Brodeln hatte sich schon länger angekündigt, doch vergangene Woche kam es im Gespräch mit dem Dichter Durs Grünbein im Dresdner Kulturpalast, wie berichtet, zur Eruption der Lava. Was immer das literarische Brodeln genau mit dem anderen Brodeln zu tun hat, fest steht, dass Tellkamp jetzt ganz nah bei den sogenannten besorgten Bürgern steht, und dass er, was den Opferstatus der Ostdeutschen angeht, seine Meinung geändert hat: In einem Interview mit der Zeit im Herbst 2012 hatte er noch, bei allen vorangegangenen "Verwerfungen", eine "Normalisierung" im Ost-West-Verhältnis konstatiert; und auf die Frage der liberalen Systempresse, was denn für die Ex-DDR-Bürger typisch sei, wenn es Angela Merkel nicht sei, hatte Tellkamp damals Folgendes geantwortet:

"Diese Kleinkariertheit, dieses Kleinbürgertum - der Kleingarten mit der Tischdecke! Mit Eierschecke, Wunschbriefkasten und Oberhofer Bauernmarkt. Das ist doch, was die Menschen an gedanklicher Freiheit gehindert hat. Diese niedrige Gesinnung eines Kleinbürgerstaats. Die DDR war ein Kleinbürgerparadies! Der ewige Kleinbürger, der erst die Nazis wählt und der sich dann auch im nächsten Staat einrichtet. Mit portablem Fernseher, mit 'nem Bier, mit Würstchen und Grilletta. Und dafür ist Merkel nun wirklich nicht typisch."

Und jetzt? Heute sieht die Tellkamp-Welt ganz anders aus. All die Rechtspopulismus-Profis und AfD-Experten winken ja mittlerweile schon schnell routiniert ab, wenn sie ein Muster wiedererkennen, und attestieren dann, nun sage auch der- oder diejenige "das Übliche", was man da eben so sage. Aber gegen diese Abgebrühtheit sollte man sich doch noch mal das ganze konkrete Paket an Überzeugungen klarmachen, das der preisgekrönte Autor in Dresden vor großem Publikum gebündelt vorgetragen hat. Es sind folgende: Die Aufnahme von Flüchtlingen war ein Rechtsbruch. Die gleichgeschaltete linke Presse gefährdet die Meinungsfreiheit. Dagegen erfordert es Mut, die eigentlichen Wahrheiten auszusprechen. Kaum ein Flüchtling ist verfolgt, sondern nur Wirtschaftsmigrant. Thilo Sarrazin hingegen kann als Verfolgter gelten. Das Geld für Einwanderer müsste man lieber in die Rentenversicherung stecken. Der gesamte Osten wird vom Westen für braun erklärt, und der Rassismus ist in erster Linie durch solche Kränkungen erklärbar. Der Islam ist gefährlich für unser Land.

Natürlich umfasst die Meinungsfreiheit sowohl Meinungsschwankungen als auch "Meinungen", denen man diesen neutralen Namen kaum noch zubilligen mag. Um aber nun den Wert dieses empfindlichen Grundrechts gerade all denen vor Augen zu führen, die ernsthaft meinen, es werde ihnen und anderen, die Ressentiments von sich geben wollen, in diesem Land gar nicht gewährt, hat man in vielen Reaktionen der letzten Tage die Veranstaltung im Dresdner Kulturpalast regelrecht gefeiert: weil sie ja immerhin stattfinden konnte, ohne dass die Kontrahenten sich angeschrien oder geprügelt hätten.

Die Lava durfte sich ganz zivil entladen - das ist natürlich schon mal was! Aber die Sorge um die besorgten Bürger geht noch weiter. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) warnt aus Angst vor einem AfD-Sieg bei der sächsischen Landtagswahl im nächsten Jahr vor der "Stigmatisierung" Tellkamps und verursacht damit Streit in seiner Landesregierung. Und besonders viel Energie verwenden einige Kommentatoren auf die Kritik daran, dass sich der Suhrkamp Verlag auf seinem Twitterkanal von Tellkamps politischen Äußerungen distanzierte. Das hatte der Verlag in der Tat nicht gemacht, als Peter Handke serbische Kriegsverbrecher verteidigte, und jetzt betonen alle, wieder um zu zeigen, wie toll die Meinungsfreiheit ist, dass Schriftsteller auch politisch spinnen und Bürgerkriegsfantasien haben dürfen.

Das stimmt zwar, aber man fragt sich doch: warum diese ganze Empfindlichkeit? Weil hier das liberale Dilemma berührt ist, dass es einfach Grenzen zwischen Meinung und Ressentiment, zwischen konservativen politischen Positionen und Wahnsystemen gibt - dass aber bloß keiner der sein will, der solche Grenzen definiert. Man will unter keinen Umständen "auf dem moralischen Hochsitz" (Ulf Poschardt) erwischt werden. Nur führt diese feine Angst vor dem Richtertum dazu, dass es doch wieder nur um Diskursdebatten geht und nicht um die Sache - exakt das aber ist die Strategie der Ressentimentparteien.

Uwe Tellkamp klagte in Dresden: "Meine Meinung ist geduldet, aber erwünscht ist sie nicht." Möge es so bleiben.

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