Tod von Cranberries-Sängerin Dolores O'Riordan:Es bleibt ein Lied, zum Weinen schön

Dolores O'Riordans Stimme auf Kassette ließ Musikmanager Anfang der Neunziger um die Band The Cranberries konkurrieren. Jetzt ist die Irin mit nur 46 Jahren gestorben.

Nachruf von Johanna Bruckner

Große Künstler leben durch ihr Schaffen weiter, durch ihre Bilder, Filme, Lieder. Das ist die Quintessenz vieler Nachrufe auf berühmte Persönlichkeiten. Es ist der größtmögliche Trost, den die Verfasser den Fans bieten können, die um einen Menschen trauern, den sie in den meisten Fällen nicht persönlich kannten. Und dem sie sich doch so nahe fühlen wie einem guten Freund. Das Werk von Dolores O'Riordan, Sängerin der irischen Band The Cranberries, umfasst mehr als nur einen einzigen Song. Aber es ist vor allem dieser eine Song, der nun im Radio gespielt und auf Youtube gesucht werden wird.

"Zombie" aus dem Jahr 1994, ein hochpolitisches Lied, das zum größten Hit der Cranberries wurde. Weil es die Menschen berührte, auch wenn ihnen der Nordirlandkonflikt egal war. Weil einem auch heute noch nach Weinen zumute ist, wenn auf den wuchtigen, treibenden Bass O'Riordans Stimme folgt. So zart, und doch von großer Dringlichkeit.

An diesem Montag hat das Management der irischen Sängerin mitgeteilt, dass Dolores O'Riordan mit nur 46 Jahren verstorben ist. Details zu den Umständen ihres Todes wurden bislang nicht bekannt gegeben. Einmal mehr liegt es da nahe, wenn es schon keine Erklärung gibt, so doch zumindest Trost in der Musik zu suchen. Und vielleicht gibt es kein passenderes Lied in diesem Moment als "Zombie". Ein Lied, das von Hilflosigkeit handelt, von Wut, und von unendlicher Trauer. Das machen schon die ersten Zeilen deutlich.

Another head hangs lowly

Child is slowly taken

And the violence, caused such silence

Who are we mistaken?

Als die Cranberries "Zombie" Mitte der Neunziger veröffentlichten, waren Lieder mit explizit politischer Botschaft die Ausnahme. Es war die Zeit von Boybands und Girlgroups, von Hiphop und Grunge. Auch wenn die unterschiedlichen Genres politische oder zumindest gesellschaftlich relevante Strömungen hatten, im Radio ging es vorrangig um Liebeswirren, Thug Life und das Gefühl, seinen Platz im Leben nicht zu finden. "Zombie" dagegen griff ein konkretes Ereignis der jüngeren Geschichte auf: einen Bombenanschlag der IRA in der englischen Stadt Warrington im März 1993. Zwei Kinder starben, drei und zwölf Jahre alt.

Dolores O'Riordan, die die Anti-Bürgerkriegs-Hymne schrieb, gab ihrer Band damit eine Stimme im Nordirlandkonflikt. Zuvor hatte sie dafür gesorgt, dass die Cranberries von einer talentierten Nachwuchsband zu einer Gruppe wurden, deretwegen Musikmanager in die irische Stadt Limerick reisten. Hier, im Südwesten Irlands, hatten 1989 die Brüder Noel und Mike Hogan gemeinsam mit ihren Kumpels Fergal Lawler und Niall Quinn die Band gegründet - zunächst unter dem Namen The Cranberry Saw Us, eine Anspielung auf den englischen Begriff "cranberry sauce".

Aus dem Kirchenchor in eine Rockband

Um ernstgenommen zu werden, brauchte es eine Namensänderung - und einen Wechsel am Mikrofon. Sänger Niall Quinn war nicht mit dem Herzen bei der Sache und verließ die Band kurz nach der Gründung wieder. Ersetzt wurde er durch Dolores O'Riordan, 19 Jahre jung, die bis dahin vor allem im Kirchenchor und in Pubs gesungen hatte. Ihre Stimme auf den Demokassetten war es, die Musikscouts bald um die Cranberries konkurrieren ließ. Am Ende machte das britische Label Island Records das Rennen.

Das erste Album der jungen Iren, das 1993 erschien, hieß passenderweise "Everybody Else Is Doing It, So Why Can't We?". Frei übersetzt: Alle anderen probieren es, warum also nicht auch wir? Die erste Single-Auskopplung "Linger" schaffte es in den britischen Charts nur auf Platz 14, in ihrer Heimat und auch in den USA landeten die Cranberries aber auf Anhieb in den Top Ten. Besonders auf der anderen Seite des Atlantiks war das folkig angelegte, melancholische Liebeslied ein Erfolg: Gold-Status in Amerika. Eine Tour im Sommer 1993 als Vorgruppe von Duran Duran durch die Vereinigten Staaten dürfte zur Bekanntheit des Songs beigetragen haben.

Auftritte in fragwürdigen Fernsehshows

Im vergangenen Jahr erzählte O'Riordan dem Guardian, dass sie in dem Lied verarbeitet habe, als Jugendliche öffentlich in einer Disko abserviert worden zu sein. "Alles ist so dramatisch, wenn du 17 bist, das habe ich in das Lied einfließen lassen." Zwei Jahre zuvor hatten die Cranberries bewiesen, dass sie fähig sind zur Selbstironie: Die Band performte "Linger" beim Finale der britischen Ausgabe der Kuppelshow Die Bachelorette.

So ein Engagement anzunehmen, zeugt von Souveränität. Aber auch davon, dass es schwer ist, an einen überwältigenden Anfangserfolg anzuknüpfen. Die Zeit der Cranberries - das waren die Neunziger. Der Welthit "Zombie" war der Leadtrack auf dem zweiten Album der Band. "No Need to Argue" kam 1994 heraus - nur ein Jahr nach dem Debüt der Band - und verkaufte sich weltweit mehr als 15 Millionen Mal. Bis heute wurde "Zombie" auf Youtube mehr als 650 Millionen Mal gestreamt. Wie soll man das wiederholen?

Die Cranberries versuchten es, veröffentlichten drei weitere Alben, bevor sie sich Mitte der 2000er vorübergehend auflösten. O'Riordan verwirklichte in der Bandpause eigene Projekte. Doch weder die Band, noch ihre Sängerin als Solokünstlerin kamen an die alten Erfolge heran. Daran änderten auch zwei neue Alben nach der Reunion 2009 nichts. Den Cranberries erging es wie vielen One-Hit-Wonder-Bands: Ihr Ruhm schwand, bis irgendwann nur noch Auftritte in fragwürdigen Fernsehshows blieben. (Wobei den Iren der Vergleich mit One-Hit-Wonder-Gruppen eigentlich nicht gerecht wird, denn sie hatten durchaus noch Songs und Alben, die es in Europa in den einstelligen Chartbereich schafften. Doch diese kleineren Erfolge gingen in der öffentlichen Wahrnehmung unter.)

Familie, Glaube, Natur

O'Riordan wurde nicht bitter über diese Gesetzmäßigkeiten des Business, sie arrangierte sich damit. So wie sie sich Jahre zuvor damit arrangiert hatte, ständig herumzureisen zu müssen. Ein Leben auf Tour, Rock 'n' Roll, das passte eigentlich nicht zu dem, was der Irin wichtig war: Familie, Glaube, Natur. Dolores O'Riordan wurde 1971 als jüngstes von sieben Kindern geboren und wuchs in Ballybricken auf, einer ländlichen Gegend etwa 20 Kilometer außerhalb von Limerick. Ihre Herkunft half der Sängerin, geerdet zu bleiben - aber sie führte wohl auch dazu, dass sich O'Riordan mitunter verbiegen musste, um ins Rockstar-Korsett zu passen. Der Musikjournalist Carl Wiser, der sie im vergangenen Jahr interviewte, notierte, dass die Sängerin erschöpft gewirkt habe.

Dolores O'Riordan hinterlässt aus der Ehe mit dem Duran-Duran-Manager Don Burton drei Kinder. Und sie hinterlässt ein Lied. Es ist vielleicht das schönste, das die Neunziger hervorgebracht haben.

But you see, it's not me,

it's not my family

In your head, in your head they are fighting.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: