Theater:Wen gucke ich an?

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"Im Leben gibt es keine Proben" heißt Carmen-Maja Antonis Autobiografie. Ihre ersten Auftritte hatte sie im Kinderfernsehen der DDR. (Foto: Thomas Schulze/dpa)

Carmen-Maja Antoni spielt Theater, wie andere Menschen staubsaugen: völlig uneitel. Sie hat Theatergeschichte mitgeschrieben, seit 1976 spielt sie am Berliner Ensemble. Jetzt wird sie 70 Jahre alt.

Von Mounia Meiborg

Das Café, in dem sich Carmen-Maja Antoni treffen möchte, ist kein Café, sondern eine türkische Bäckerei. Sie liegt an einer dieser Straßenecken, an denen Prenzlauer Berg noch nicht hip ist. Drinnen Stühle mit cremefarbenem Polster, draußen Holztische. Nachbarn und Hundehalter treffen sich hier. Deshalb mag Carmen-Maja Antoni den Laden: weil keine Theaterleute vorbeikommen. Und vielleicht auch, weil sie hier nicht bedient wird, sondern sich ihren Espresso selbst an der Theke holen kann, mit schnellen, festen Schritten.

Carmen-Maja Antoni ist Schauspielerin, aber ihr Arbeitsethos gleicht dem einer Fabrikarbeiterin: Disziplin, Fleiß, Durchhaltevermögen. Das war schon so, als sie mit zehn im DDR-Kinderfernsehen auftrat und sich nicht versprechen durfte, weil live gesendet wurde. Seit 1976 spielt Carmen-Maja Antoni am Berliner Ensemble. Seit Jahrzehnten steht sie auch vor der Kamera: In TV-Serien wie "Polizeiruf 110" oder "Rosa Roth", aber auch für die große Kinoleinwand ("Das weiße Band", "Der Vorleser"). Am Sonntag wird sie 70 Jahre alt.

Sie hat Theatergeschichte mitgeschrieben: 25 Jahre in der DDR, 25 Jahre im wiedervereinigten Deutschland. Als Erstes fällt ihre Größe auf. 1,50 Meter ("Aber inzwischen sind es wohl 1,49 Meter"). Wie ein freundlicher Kobold wirkt sie. Schelmische Augen, große Nase, weißblonde Haare. Als "Clownsfrau" wird sie oft bezeichnet. In Dutzenden Fernsehfilmen spielt sie schrullige Nebenfiguren. Vielleicht wurde sie so zur Brecht-Schauspielerin. Der brach nicht nur mit Theaterkonventionen, er erfand neue Frauengestalten.

Kaum eine weibliche Brecht-Rolle, die sie nicht gespielt hat: Lucy in der "Dreigroschenoper". Die Prostituierte Shen Te in "Der gute Mensch von Sezuan". Und natürlich die "Mutter Courage". Seit zehn Jahren läuft das Stück am Berliner Ensemble, um die halbe Welt sind sie damit getourt. Claus Peymanns Inszenierung trägt wie so oft museale Züge. Aber die handfeste Person im Zentrum berührt. Eine Macherin, eine Überlebende, eine Frau, die sich in einer Männerwelt durchsetzt. Es ist ihre Rolle.

Geboren wurde Antoni kurz nach Kriegsende in Ost-Berlin. Die Mutter war Aufnahmeleiterin beim Fernsehen, der Vater Kunstmaler, er verließ die Familie früh. Das Geld war knapp. Die Auftritte im Kinderfernsehen halfen, die Familie zu ernähren. "Es war nie ein Gewese um irgendwas", sagt sie. Keine Zeit für Eitelkeiten. Sie lernte zu kochen, die Kellertreppe zu putzen, Dinge zu reparieren.

"Mit zwölf Jahren war ich erwachsen." An der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam lernte sie die Grundlagen, vor allem im Stanislawski-Seminar. "Wie öffne ich eine Tür, wenn keine da ist? Wen gucke ich an, wenn ich die Tür aufgemacht habe? Ich fand das herrlich, weil es so naiv war. Wie Kindertheater." Bis heute legt Antoni viel Wert auf dieses Handwerkszeug. Sie betont jedes Wort, berlinert nur, wenn es passt. Nie verschluckt sie eine Silbe.

In den Siebzigerjahren spielte sie an der Berliner Volksbühne. In ihrer Autobiografie "Im Leben gibt es keine Proben" schildert sie diese Zeit sehr unterhaltsam: der Whisky trinkende Heiner Müller, Einar Schleef, der erstmals Chöre auf die Bühne stellte, Christoph Hein, der seine Stückentwürfe in der Kantine diskutierte und mit dem sie bis heute befreundet ist.

1976 - es war nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann, und viele Theaterleute hatten das Land verlassen - wechselte sie ans Berliner Ensemble, das damals von Helene Weigel geleitet wurde. Mit Brechts "Herr Puntila und sein Knecht Matti" gab sie ihren Einstand. Die Gutsbesitzer-Tochter Eva wird bei ihr zur koketten Dame im Pelzmantel, die sich in spröden Flirtversuchen verheddert. Antoni spielt mit trockenem Witz, manchmal mit Lust an der boulevardesken Übertreibung. Dem sozialistischen Volksstück mengt sie eine gute Portion Vierzigerjahre-Hollywood und eine Prise Commedia dell'Arte bei.

Brechts Figuren passen zu ihr, weil sie die einfachen, hart arbeitenden Leute spielen kann, ohne auf sie herabzuschauen. Weil sie sich den Texten naiv nähert und sie mit neuen Emotionen füllt. Und weil sie diszipliniert ist. "Seine Stücke sind so gut, die dulden keine Privatismen." Sie selbst hat stets streng zwischen dem Theater und ihrem Privatleben unterschieden.

Das hat ihr geholfen, mit autoritären Regisseuren klarzukommen - wie mit Claus Peymann, der das Berliner Ensemble seit 1999 leitet und mit dem sie anfangs ihre Schwierigkeiten hatte. "Wenn mich jemand auf der Probe anbrüllt, brülle ich halt zurück. Aber das hat nichts mit meinem Privatleben zu tun, das muss man ausschalten können." Heute, beklagt sie, gehe das jüngeren Kollegen oft durcheinander. "Man muss nicht auf der Straße Schauspieler sein, man muss auf der Bühne Schauspieler sein." Und: "Man ist nichts Besonderes. Man hat nur einen besonderen Beruf."

Streng wirkt sie, wenn sie so redet, mit ihrer tiefen, herben Stimme. Es ist ein Gegensatz, der nicht aufgelöst wird: Einerseits ist ihr immer alles leicht gefallen. Andererseits hat sie wahnsinnig hart gearbeitet. Ein Stehaufmännchen. Aber man bezweifelt, dass sie je umgefallen ist. Als ihr Mann im Jahr 1998 starb - überraschend und viel zu jung -, hat sie auch das verkraftet, dank der beiden Kinder und der Arbeit. Den Ehering trägt sie noch immer.

Vor zwei Jahren hat sie ihren festen Vertrag am Berliner Ensemble aufgelöst. Sie spielt nun nur noch ein paar Vorstellungen im Monat. Zum ersten Mal im Leben teilt sie sich ihre Zeit selbst ein. Was kommt jetzt, mit siebzig? Es gebe ein paar alte Schachteln, die sie noch nicht gespielt habe, sagt Carmen Maja-Antoni. Sie lehnt sich zurück und sagt: "Abwarten."

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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