Theater:Wand an Wand

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In München beweist das glanzvoll wiedereröffnete Gärtnerplatz-Theater, wie wichtig Kulturbauten für die Stadtraumentwicklung sind.

Von Gottfried Knapp

Die Wiedereröffnung des Theaters am Gärtnerplatz in München nach fünf langen Umbaujahren ist sehr viel mehr als nur ein glücklicher Moment in der reichen Münchner Theatergeschichte, sie ist auch entschieden mehr als ein weiterer Grund, über fatal gestiegene Baukosten bei deutschen Kulturbauten zu schimpfen. Wenn dieses Haus in der Isarvorstadt jetzt wieder mit Leben gefüllt ist und abends auf den Platz hinausstrahlt, nach dem es benannt ist, dann hat das ganze Quartier wieder jenes Zentrum zurückerhalten, auf das es schon bei seiner Gründung ausgerichtet worden ist. Als im Jahr 1861 die Planungen begannen für das als Spekulationsobjekt der Bankiersfamilie Eichthal gedachte Mietshausquartier zwischen Altstadt und Isar, legte man einen kreisrunden Platz ins Zentrum des zu bauenden Viertels und ließ die fälligen Straßenachsen so von innerstädtischen Plätzen aus auf neue Isarbrücken zulaufen, dass sie sich auf diesem Platz kreuzten, das Gebiet also von diesem Rondell aus sternförmig erschlossen.

Neue Gäste für die alten Häuser: Im Staatstheater am Gärtnerplatz könnte die Eröffnungsgala der geplanten Münchner Theaterwoche stattfinden. (Foto: Stephan Rumpf)

Als Zentrum und Attraktion für das neue Mietshausviertel sollte ein Theater errichtet werden, das den alten Wunsch der Münchner nach einer Volksbühne erfüllen sollte. Und da die Finanziers in ihrer Siedlung keine Kirche vorgesehen hatten, sollte das Theater dem ganz auf Profit angelegten Investorenprojekt ersatzweise auch zu einem höheren Ansehen, ja zu kultischem Status verhelfen. Dieses für ein breites Publikum bestimmte Kulturhaus wurde am Gärtnerplatz so zwischen zwei einmündende Straßen gestellt, dass seine Fassade für die Besucher, die aus der Innenstadt kamen, schon von weitem sichtbar war.

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Doch die Mietshaus-Spekulanten hatten sich mit ihrem Plan, eine Stätte "des Lustspiels, des Volksstücks und der Possen mit Gesang" zu etablieren, Oper und Ballett aber ausdrücklich auszuschließen, gründlich vertan. Schon wenige Jahre nach seiner Eröffnung wurde der Betrieb im Aktientheater wieder eingestellt. Das Haus wurde zwangsversteigert, und dann im Jahr 1870 von König Ludwig II., dem Liebhaber theatralischer Sonderformen, aus dem Familienvermögen der Wittelsbacher erworben und bald schon zum "Königlichen Theater am Gärtnerplatz", zum zweiten Münchner Opernhaus, erhoben. Hier in der Vorstadt sollte die leichte Muse ihre Heimat haben. Und tatsächlich haben Singspiel und die sich in den Jahrzehnten danach entwickelnde Gattung der Operette dort früh schon Triumphe gefeiert. Doch erst im Jahr 1937, als das Land Bayern das Theater vom Wittelsbacher Ausgleichsfonds erwarb, wurde der kultische Mittelpunkt des Vorstadtquartiers, das pochende Herz des beliebten Wohngebiets, zum "Staatstheater am Gärtnerplatz".

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(Foto: Stephan Rumpf)

Willkommen im modernisierten Gärtnerplatztheater: Der Zuschauerraum sieht aus wie früher,...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...der neue Orchesterprobensaal wie eine Raumschiff-Basis. Dort sollen Kammerkonzerte stattfinden.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Die Hinterbühne bekommt das Publikum eher selten zu sehen.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Intendant und Regisseur Josef E. Köpplinger ist glücklich über die Probebühne,...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...die Garderoben wurden modernisiert.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Das Dach des Probensaals sieht auch von außen futuristisch aus.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Bekannt von früher ist das Wandgemälde im Foyer im ersten Stock, das an manchen Stellen ergänzt und erweitert wurde.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Ganz neu: die Kantine.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Die Werkstätten.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Tobias Lankes in der neuen Schreinerei.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Hier lässt sich gut proben, in desem Fall "Die lustige Witwe".

Wer heute im mustergültig sanierten und kräftig erweiterten Theater das obere Foyer, also jenen Saal über der Eingangshalle betritt, und durch eines der großen Rundbogenfenster hinunterschaut auf den kreisrunden Gärtner-Platz, der wird diese stadträumliche Schöpfung des 19. Jahrhunderts, die heute baulich wieder erfreulich geschlossen ist, mit dem Ring aus alten Bäumen und mit dem geradezu überschwänglich reichen Blumenschmuck auf dem Mittelrondell für einen der schönsten Plätze seiner Zeit halten. Da das Theater aber auf dem schmalsten Zwickel zwischen zwei der sternförmig ausscherenden Straßen steht, ist seine Front zum Platz vergleichsweise schmal. Dafür erweitert es sich nach hinten in Keilform . Am Ende schließt es direkt auf zu den Zeilenbauten an der Reichenbach- und der Klenzestraße, es wächst also quasi aus den Wohnhäusern heraus. Wo gibt es das schon, dass normale Bürger Wand an Wand mit einem Opernhaus wohnen?

Selbst Geflüstertes wird bis in die letzten Reihen getragen

Auf der für den Theaterbau zur Verfügung stehenden beengten Fläche hat der Architekt Franz Michael Reiffenstuel eine fabelhafte Version des von Karl von Fischer und Leo von Klenze errichteten großen innerstädtischen Opernhauses errichtet. Der Zuschauerraum folgt, wie die reizvoll ornamental bemalte Decke zeigt, im Grundriss exakt der Kreisform, doch ziehen sich die vier Ränge nach oben so behutsam zur Außenwand zurück, dass eine Art Trichter entsteht, aus dem man beste Sicht auf die Bühne hat.

In diesem Saal und in den Foyers hat man sich beim Umbau denkmalschützerisch exakt an die erhaltenen Details gehalten, also nichts verändert. Aber der Rest des Baus wurde total entkernt; der keilförmige Trakt hinter der Bühne wurde mit völlig neuen Funktionen gefüllt. Das Münchner Büro Achatz Architekten, das in den letzten Jahren auch in anderen Münchner Theatern segensreich tätig war, hat großartige Arbeit geleistet. Vier neue Lifte, zwei davon direkt von der Straße aus, bringen die Besucher nun hinauf zu den Rängen. Im Gewölbe unter der Eingangshalle wurde eine Bar eingerichtet, die bald schon zu einer nächtlichen Attraktion im Viertel werden könnte. Und über dem Zuschauerraum, also im gewölbten Saal hinter dem Giebel ist jetzt der Malersaal eingerichtet.

Den Trakt hinter der Bühne hat man 16 Meter tief ausgeschachtet. In dieser Grube konnten gleich drei Probebühnen untergebracht werden. Im 7. und 8. Obergeschoss über diesen Bühnen, über Werkstätten und Lager, hat man nun erstmals auch Proberäume für das Ballett und den Chor hineingebaut. Und um den Orchesterprobensaal auf dem begrünten Dach, dieses organische Gebilde mit Ausblick ins Freie, dürften andere Orchester die Gärtnerplatzleute heftig beneiden.

Beim Galaabend zur Wiedereröffnung glaubte man die wunderbaren Fortschritte, die das Ensemble in den schönen neuen Räumen des Hauses in kürzester Zeit gemacht hat, fast physisch deutlich zu spüren. Alle Sparten konnten auf ihrem Gebiet so souverän glänzen, dass man sich fragte, welches Theater auf der Welt imstande ist, innerhalb weniger Minuten italienische Oper, Wiener Operette, amerikanisches Musical und wirbelndes Ballett - "Unter Donner und Blitz" - in ähnlich stilistischer Differenziertheit und auf ähnlich hohem musikalischen und darstellerischen Niveau zu präsentieren. Die verblüffend präsente Akustik, die selbst Geflüstertes bis in die letzten Reihen trägt, mag bei reinen Orchesterpassagen ein wenig trocken klingen, doch sie lässt die Sänger brillieren.

Das Galapublikum scheint nach anfänglichem Zögern den außergewöhnlichen Rang des Abends begriffen zu haben. Beim Schlussbeifall, der im Stehen absolviert wurde, hielten die Ovationen für die Solisten, für Orchester, Chor, Kinderchor und Ballett, für den neuen Chefdirigenten Anthony Bramall und für Intendant Josef E. Köpplinger auch noch an, als der Vorhang längst geschlossen war.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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