Theater:Unser Hindukusch

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In seinem Stück "Die lächerliche Finsternis" führt Wolfram Lotz postkoloniales Denken ad absurdum. In Ulm geht man damit auf eine unheimliche Reise.

Von Adrienne Braun

Menschen mit Höhenangst oder Klaustrophobie müssen leider draußen bleiben. Denn Theater kann gefährlich sein. In Ulm jedenfalls wird das Publikum ordentlich in Schwung gebracht. In "Die lächerliche Finsternis" sitzen die Zuschauer auf der Bühne des Großen Hauses und werden auf eine Reise mit der Bühnenmaschinerie geschickt. Hinauf in Richtung Schnürboden geht die Fahrt und am Orchestergraben vorbei in die Tiefen der Unterbühne. Wieder und wieder kreist auch die Drehbühne - ein Roadmovie der theatralischen Art.

Zwölf Jahre war Andreas von Studnitz Intendant am Theater Ulm, nach gut fünfzig Inszenierungen wird er sein Amt im Sommer an Kay Metzger übergeben. Für seine letzte Regie am Haus hat sich Studnitz einen Text von Wolfram Lotz vorgenommen, dessen "unmögliches Theater" oft mit irrwitzigen Regieanweisungen provoziert. In "Die lächerliche Finsternis" schickt Lotz einen Hauptfeldwebel mit einem jungen Kollegen den Fluss Hindukusch aufwärts, um einen verrückt gewordenen Oberstleutnant zu liquidieren. Es ist eine unheimliche Fahrt durch den afghanischen Regenwald, ein Stationendrama in einer fremden Welt, von der er, wie Lotz betont, wenig Ahnung habe. Pate standen ihm vor allem Joseph Conrads Erzählung "Herz der Finsternis" und Francis Ford Coppolas Film "Apocalypse Now".

Der Prolog führt zunächst nach Hamburg, wo ein somalischer Pirat (Aglaja Stadelmann) vor Gericht seine Verteidigungsrede hält. Fischer sei er gewesen, doch die Meere seien leer, weshalb er Piraterie studierte und lernte, Schiffe zu entern. Als Beweis für sein Leben hat der Pirat Tonaufnahmen im Angebot: das Quietschen einer Tür, das Lärmen auf der Straße, das Rauschen des Meeres an der Küste.

So schaut sie aus, die Strategie von Wolfram Lotz, der in seinen Realismus immer wieder Surreales mogelt. Harte Weltpolitik geht bruchlos in absurden Klamauk über, in Existenziellem ploppt Banales auf. Ironisch, aber nie belehrend wirbelt Lotz Klischees, Stereotype und Vorurteile spielerisch durcheinander, um vermeintliche Gewissheiten zu demontieren - und en passant postkolonialistisches Denken zu entlarven. So begegnen den beiden Soldaten auf ihrer Flussreise "Eingeborene" und "Tierfresser", die "nicht im Sitzen pinkeln wollen". "Wie oft habe ich den Leuten gesagt, dass sie ihren Müll in den Fluss werfen sollen", schimpft ein italienischer Blauhelm, "sie begreifen es nicht!"

Das Publikum gleitet auf der Großen Bühne weiter zu einem Missionar (Julia Baukus), der Muslimas von der Verhüllung befreien will, damit man ihre "herrlich schlanken Beine" und die "kleinen runden Hintern" besser sehen kann, "das sind doch wunderschöne junge Frauen". Ein Händler (Christel Mayr) bietet laktosefreien Ziegenkäse, Zahnseide und Investmentfonds feil. Diese kuriosen Begegnungen lassen die Flussfahrt für den Hauptfeldwebel auch zur Reise ins Ich werden. Stefan Maaß ist stark in der Rolle des abgebrühten Zynikers - ein einsamer Wolf, dem die Orientierung langsam abhandenkommt.

"Das ist nur Text", sagt der Autor, "das Grauen findet in der Wirklichkeit statt."

Nicht nur den eigenen Kategorien, auch dem Theater selbst ist nicht zu trauen, so die Botschaft dieses schlichten wie interessanten Theaterabends, in den sich der Autor auch mehrmals hörbar einmischt. In Videoeinspielungen sinniert Wolfram Lotz über die Unmöglichkeit, über etwas zu schreiben, das man nicht kennt. Er habe, wie er an anderer Stelle einräumt, in "Die lächerliche Finsternis" leider auch die Frauen vergessen. Studnitz hat Abhilfe geschaffen - und die meisten Rollen mit Schauspielerinnen besetzt.

"Das ist nur Text", mahnt Lotz, "das Grauen findet in der Wirklichkeit statt" - auf der Ulmer Bühne aber letztlich nicht, da hier dem Krieg ein Schnippchen geschlagen wird. Am Ende taucht der gesuchte Oberstleutnant auf, dessen Wahnsinn allein darin besteht, seiner eigenen Logik gefolgt zu sein. Scharen von Feinden hätte er liquidieren sollen, entschied sich aber "für das Menschlichste, was hier möglich ist" und tötete seine beiden Mitstreiter. Und da "nur" zwei Tote immerhin besser als drei seien, habe er sich selbst am Leben gelassen.

© SZ vom 30.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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