Theater:Ungemütlich

Lesezeit: 2 min

Daniel Schmutzhard als fliegender Papageno am Theater an der Wien. (Foto: Herwig Prammer)

René Jacobs inszeniert am Theater an der Wien eine "Zauberflöte", die wenig fürs Herz, aber viel fürs Hirn bietet.

Von Reinhard Brembeck

Es ist schon eine Crux mit den Männern. "Zwei Seelen wohnen," erklärt einer der berühmtesten, "ach! In meiner Brust." Hat der niederbayerische Theatermagnat Emanuel Schikaneder diesen Vers gekannt? Sicher nicht. Der erste "Faust"-Teil ist erst 1808 erschienen, Schikaneder hat nach obigem Motto aber bereits 1791 seine "Zauberflöte" gestrickt und darin gut freudianisch den Mann an sich in Über-Ich und Es zerlegt. In Tamino und Papageno. In Pflicht und Trieb, in Magen und Hirn.

Man empfindet das nirgendwo so deutlich wie im Theater an der Wien. Hier wurde die "Zauberflöte" zwar nicht uraufgeführt, sie war in dem 1801 von Schikaneder eröffneten Haus jedoch schon bald ein Renner. 200 Jahre später bringt nun Dirigent René Jacobs hier das Stück erneut auf die Bretter - und das klinget so herrlich!

Der Ehrenpreis geht an diesem Abend an die Bläser der Berliner Akademie für Alte Musik. Gegen das Säuseln der vernunftgläubigen Sarastro-Welt erheben die todessüchtigen Posaunen immer wieder Einspruch. Sie klingen nach frisch ausgehobener Graberde und erinnern die Machbarkeitsapologeten auf der Bühne an ihre Sterblichkeit.

Folglich ist selbst den Trompeten im letzten Jubelfinale nicht so recht zum Jubeln zumute. Sie klingen nüchtern und setzen so ein Fragezeichen hinter die schöne neue Welt, die da ausgerufen wird. Es ist schließlich eine Welt, daran lässt die mit kargen Mitteln arbeitende Inszenierung von Torsten Fischer keinen Zweifel, die die Frauenfeindlichkeit und den Despotismus des Feudalismus idealistisch verbrämt fortschreibt.

Dazu passt bestens die von Mozart während der Arbeit an der "Zauberflöte" komponierte, aber kaum bekannte "Kleine deutsche Kantate", mit der Jacobs den zweiten Teil eröffnet. Der Text des bald gescheiterten Pädagogikreformers Franz Heinrich Ziegenhagen träumt alle Götter der Welt als das Ergebnis eines einzigen guten Urprinzips. Das Stück trieft vor weltfremdem Idealismus.

Sarastros langsame Arien sind in den meisten Aufführungen entsprechend pure Langeweile. René Jacobs aber, der Großmeister der italienischen Barockoper, macht diesen Stücken Tempo. Denn Weihestimmung kommt in seinem Kosmos nie auf. Und Dimitry Ivashchenko, ewig unglücklich in Pamina verliebt, macht daraus schmerzliche Studien eines großen Liebesverzichts.

Eines Liebesverzichts, zu dem der Papageno des Daniel Schmutzhard nicht einmal unter Folter bereit wäre. Der Mann verbreitet jene "Wein, Weib & Gesang"-Ungemütlichkeit, die in ihrer Wiener Spielart immer ganz nah an der Bösartigkeit ist. Zum Wohlfühlen und Kuscheln ist diese "Zauberflöte" nicht geeignet, die Produktion unterstreicht die Kratzbürstigkeit. Der männlich herb singende Tamino des Sebastian Kohlhepp ist zu Beginn deshalb genauso ein vom Sex Getriebener wie sein Alter Ego Papageno. Doch während der seine Triebwelt als Lebenssinn annimmt, versucht es Tamino mit Sublimierung. Selbst um den Preis, dass er seine - sicherlich nicht bedingungslos - geliebte Pamina in den verpatzten Selbstmord treibt.

Kurzfristig droht in der "Zauberflöte" jener Aufstand der Frauen, über den sich schon Aristophanes in der "Lysistrate" lustig gemacht hat. Nina Minasyans Königin hat das süchtig machende Gift der Macht in vollen Zügen geschlürft, jetzt will sie die Weltherrschaft. Die klagt sie mit bewundernswert sicheren Koloraturen ein, aber ihr Aufstand leidet daran, dass sie mit einem Haufen liebestoller Frauen antritt und zuletzt sogar noch auf die Hilfe des Underdogs Monostatos vertraut. Dafür hat die Männerriege nur Chauvisprüche übrig. Und die Tochter Pamina der grandios selbstbewussten Sophie Karthäuser hat sich schon früh dafür entschieden, dem neuen Menschheitsführer Tamino eine brave Gefährtin zu sein.

So wird Jacobs' "Zauberflöte" ungemütlich realistisch. Kein einziger ihrer Egoisten ist sympathisch, jeder stellt nur seine Ängste und Charakterdefizite aus. Der Aufklärer Jacobs schärft die Situation an, nie hat er einen versöhnlichen Klang zur Hand, Romantik, Zauber und Schmelz lehnt er ab. Diese "Zauberflöte" ist eine existenzialistische Studie über Menschen und Herrschaftsformen, an denen der Dirigent und seine Sänger nichts Liebenswertes entdecken können. Fürs Herz bietet das wenig. Das Hirn freut sich über die Denkanstöße, die, ungewöhnlich genug, allein aus dem Dirigat kommen, dafür umso mehr.

© SZ vom 21.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: