Theater:Rummel im Kirschgarten

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(Foto: Birgit Hupfeld)

Im Studio des Theaters Dortmund ist Tschechows "Kirschgarten" von einem ehemaligen Punk inszeniert.

Von Martin Krumbholz

Gegen Ende wird dieser "Kirschgarten" des Dortmunder Theaters doch noch mal interessant. Der Aufsteiger Lopachin (Frank Genser), dessen Ahnen noch als Leibeigene auf dem Gut geschuftet haben, das er nun mit viel Geld ersteigert hat, kehrt von der Auktion zurück. Er ist ziemlich betrunken. Von Warja, gespielt von Bettina Lieder, bekommt er zur Begrüßung versehentlich eins über den Schädel. Nun eröffnet er der versammelten Bagage um die Gutsbesitzerin Ranjewskaja, die nur stumm und konsterniert in einer Ecke steht, was Sache ist. Paradoxerweise ist Lopachin eine sympathische Figur - einer der Schachzüge, die Tschechows letztes Stück, eine lupenreine Komödie, so exzeptionell erscheinen lassen.

Plötzlich gewinnt die Inszenierung eine Intensität, die ihr zuvor gefehlt hat. Man weiß nicht recht, wen man mehr bedauern soll: die Altreichen um die Geschwister Ranjewskaja und Gajew (er soll ein Vermögen in Form von Bonbons aufgelutscht haben, wie es heißt), die ihren geliebten Kirschgarten los sind. Oder den neureichen Lopachin. Er verspielt soeben die Liebe seines Lebens, eben Warja. Der Heiratsantrag, den er ihr trotz dringlicher Aufforderung nicht macht, ist einer der groteskesten der Weltliteratur, und er gelingt, also misslingt auch hier in der Aufeinanderfolge von stummem Glotzen und übersprungsartigem Austausch von Plattitüden.

Dann reisen alle ab, bis auf den uralten Diener Firs, und das Stück ist aus. Eigentlich müsste man nur über diesen zweiten Teil der Inszenierung von Sascha Hawemann sprechen. Bis zur Pause lässt der Regisseur, von dem es auf dem Programmzettel lakonisch heißt, er sei in seiner Jugend Punk gewesen, einen derartigen Rummel über die Bühne gehen , als wollte er dem benachbarten Weihnachtsmarkt Konkurrenz machen. Die Aufführung findet trotz des großen Ensembles im Studio statt. Die Zuschauer sitzen auf drei Seiten um das mit rohen Planken belegte Karree herum, das sich mit roten Vorhängen verhüllen lässt wie eine Jahrmarktsbude. Wolf Gutjahr hat das Bühnenbild entworfen. Nach zwei Jahren im Notquartier hat das Dortmunder Schauspiel wieder sein Domizil hinter der Oper bezogen. Der für das große Haus vorgesehene "Theatermacher" von Thomas Bernhard fiel aber krankheitsbedingt aus.

Warum also Hawemann derart auf die Pauke haut, als müsste er die Distanzen eines 500-Zuschauer-Hauses überwinden, bleibt unerfindlich. An der Live-Musik liegt es nicht, der Bühnenkomponist Xell Dafov beschränkt sich erfreulicherweise auf zarte Klavier- und Akkordeon-Töne. Den Regisseur plagte womöglich die keusche Furcht vor vermeintlich rührseligen Aspekten der Vorlage, die er mit Spektakel erstickt. Wenn die Figuren der Komödie nebeneinandersitzen und Kirschen aus Einweckgläsern schlabbern, ist dagegen einzuwenden, dass damit weiter nichts erzählt wird, außer dass wir es mit erwachsenen Kindern zu tun haben - was man zu schnell begreift. Konflikte wie der (freilich leerlaufende) zwischen dem Pragmatiker Lopachin und dem "Idealisten" Trofimow gehen im allgemeinen Lärm unter.

Hervorzuheben bleibt der alte Firs von Uwe Schmieder: mit seinen strähnigen Haaren und zerknittertem Frack die einprägsamste Figur des Abends. Seinen Eingangsmonolog, beim Öffnen des roten Vorhangs, hat er grandios vernuschelt. "Früher waren die Menschen glücklich", konstatiert der Zurückgebliebene am Schluss. "Und jetzt?"

© SZ vom 02.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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