Theater:Notwehr

Ein Bauskandal auf der Bühne: Das Stück "Bonnopoly" in Bonn prangert den Ausverkauf der Städte an, deren Regierungen sich mehr für die schwarze Null interessieren als für die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner.

Von Cornelia Fiedler

Eine Stadt muss sich nicht rechnen. Das unterscheidet sie vom Unternehmen. Diese simple, aber für deutsche Stadtverwaltungen offenbar schwer verständliche Formel setzen Regisseur Volker Lösch und Dramatiker Ulf Schmidt der neoliberalen Idee von der "unternehmerischen Stadt" entgegen. Anlass für ihr schlagfertiges Stück "Bonnopoly. Das WCCB, die Stadt und ihr Ausverkauf" ist der Bauskandal um das "World Conference Center Bonn". Doch der Fall weist über Bonn hinaus.

Am Anfang ist der Jammer groß auf der Bühne der Kammerspiele: Es sind die Neunzigerjahre, die Regierung zieht nach Berlin, Bonn droht die Bedeutungslosigkeit. Diese kommunale Depression verknüpft Schmidt mit der politischen Großwetterlage: Bernd Braun platzt als Roman-Herzog-Verschnitt mit Deutschland-Krawatte herein und fordert, ein "Ruck" solle durch die bräsige, dauergewellte Stadtverwaltung gehen. Daniel Breitfelder als Agenda-2010-Sozialdemokrat übertrumpft ihn und fegt das Sozialstaatsdenken dynamisch vom Tisch. Derart inspiriert, entwickelt die Bürgermeisterin, gemeint, nicht genannt ist Ex-OB Bärbel Dieckmann (SPD), gespielt von Laura Sundermann, nun die Idee, Bonn als UN-Stadt mit einem Kongresszentrum auf die Weltbühne zurückzuhieven.

Es folgt eine rasante, kabarettistisch zugespitzte Chronologie des Versagens: 2005 findet die Stadt einen koreanischen Investor, SMI Hyundai. Dass dieser nichts mit dem Autokonzern zu tun hat, und quasi kein Eigenkapital besitzt, wird ignoriert. Die Stadt bürgt für den windigen Investor, nur so gibt es Kredite der Sparkasse und Zuschüsse vom Land. Auf der Bühne wird der Baubeginn zur mondänen Gold-Bikini-Party am Pool voller Flüssigbeton und entwickelt sich schnell zur Schlammschlacht: SMI Hyundai verschuldet sich selbst bei weiteren Investoren, die eher peinlich mit Haifischflossen ausstaffiert sind. Die Baukosten explodieren, der Bonner General-Anzeiger deckt den Skandal auf. 2009 ist Baustopp, die Baufirmen sind insolvent. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf Untreue, verurteilt werden nur der Investor und seine Leute, aber keine Verantwortlichen der Stadt.

Nach der Eröffnung des WCCB 2015 sitzt die Stadt auf rund 300 Millionen Euro Schulden und es wird Zeit für die nächsten Fehler. Auf der jetzt leeren Bühne schwört der neue Bürgermeister das Publikum mit quälend guter Laune aufs Sparen und Privatisieren ein. Bonn habe jetzt Zehntausende städtische Wohnungen verkauft, um Schulden abzubauen. Dadurch sind die Mieten um mehr als 20 Prozent gestiegen, unterbricht ihn ein renitentes Grüppchen. "Wir leben auf Kosten unserer Kinder", versucht der OB eine neue Sparphrase. Die Antwort gibt diesmal der reale Ökonom Peter Bofinger im Videointerview. Als einer der fünf "Wirtschaftsweisen" ist er des Linksradikalismus unverdächtig: Wer keine neuen Schulden aufnehme, sagt Bofinger knapp, und dafür nicht mehr in Bildung und Infrastruktur investiere, hinterlasse "in zehn, zwanzig Jahren eine verrottete Infrastruktur (...) und Kinder, die gleichzeitig auch nichts im Kopf haben". So wird auf der Bühne ein neoliberales Sachzwangargument nach dem anderen von Experten zerlegt.

Das Schlusswort gehört dem Bürgerchor, ein Markenzeichen Volker Löschs. Rund 100 Menschen prangern die irrationalen Sparmaßnahmen der Stadt an, die Schließung von Bädern und Bibliotheken, die Streichungen in der Jugendarbeit, im Sport, in der Suchthilfe, im Kulturbereich. Die "schwarze Null" ist ihnen egal, sie wollen leben können, in ihrer Stadt. Inszeniert ist im zweiten Teil des Abends nicht mehr viel, abgesehen vom exakten chorischen Sprechen. Aber darum geht es hier nicht. Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp und ihr Team, deren Theaterarbeit aufgrund massiver Kürzungen bereits eingeschränkt werden musste, nehmen die ewige Rede vom Theater als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung wörtlich. "Bonnopoly" ist ein Statement zum Spielzeitauftakt, das Mut erfordert. Man könnte auch sagen, es ist Notwehr.

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