Theater:Nein heißt Nein

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"Konsens" von der britischen Autorin Nina Raine ist das Stück zur Me Too-Debatte. Lore Stefanek hat die deutsche Erstaufführung in Düsseldorf inszeniert.

Von Martin Krumbholz

Von den acht Personen, die in dem Stück "Konsens" der Britin Nina Raine auftreten, sind fünf Juristen. Das könnte zweierlei bedeuten: Dass hier tief nach den Ursachen flagranter gesellschaftlicher Konflikte geschürft wird; oder dass es sich um eine Art Juristenkomödie handelt. Beides trifft letztlich zu - das macht diesen Theaterabend so packend. "Konsens" (Consent) - der Titel spielt an auf fehlendes Einvernehmen beim Sex - ist das Stück der Stunde, es liest sich, als würde die "Me Too"-Debatte wie unter einem Brennglas betrachtet, obwohl Nina Raine lange vor dem Skandal um Filmproduzenten Harvey Weinstein an dem Text geschrieben hat und die deutsche Erstaufführung auch schon vor mehr als einem halben Jahr auf den Düsseldorfer Spielplan gesetzt wurde. Man kann es perfektes Timing nennen.

Im Mittelpunkt stehen Kitty und Edward, sie Lektorin, er Anwalt. Sie haben eben ein Baby bekommen, doch ihre Ehe ist keineswegs stabil. Edward hatte eine Affäre - sie haben hier alle ihre Affären -, Kitty hat es ihm nicht ganz verziehen und wird sich rächen, indem sie ihrerseits einen Seitensprung mit Eds Kollegen Matt einfädelt. Ed dreht durch, und in einer dramatischen Auseinandersetzung vergewaltigt er seine Frau. Jedenfalls "technisch gesehen". So drücken Juristen derlei aus. Vielleicht wird Kitty Eds spätere Entschuldigung annehmen können, vielleicht nicht.

Ganz anders liegt der Fall bei einer vor Gericht anhängigen Sache. Die Schottin Gayle wurde krass vergewaltigt, und Edward als Verteidiger des Täters erringt den Freispruch. Es dauert lang, bis Ed den Widerspruch zwischen beiden Fällen und ihren Bewertungen begreift.

Was kann Theater Besseres tun, als virulente Konflikte in allen Facetten zu durchleuchten und zu diskutieren? Und doch bleibt eine strukturelle Leerstelle. Bei den entscheidenden Szenen ist nämlich der Zuschauer im Theater - so wenig wie die Richter und Sachverständigen im Gericht - nicht dabei gewesen. Der Zuschauer ist, genau wie die Prozessbeteiligten, auf die widersprüchlichen Aussagen der Beteiligten angewiesen. Hat Gayle also ihren Vergewaltiger freiwillig mit in ihr Bett genommen, wie Edward in einem perfiden Plädoyer insinuiert? Und war Kitty am Ende unsicher, ob sie eine Art Mitleids- und Versöhnungssex zulassen sollte, und dann würde doch alles wieder gut? So möchte Ed es jedenfalls gerne sehen, so sieht seine Verteidigungsstrategie vor den Freunden aus.

Mit diesen Freunden ist es so eine Sache. Es gibt insgesamt drei Paare, bei allen sind die Bruchlinien deutlicher markiert als etwas, das man nostalgisch Liebe nennen könnte. Das magische Wort, um das ihre vom Alkohol befeuerten Reden permanent kreisen, heißt "ficken" - was beim Düsseldorfer Publikum leichte Irritationen auslöst, aber die Regisseurin Lore Stefanek sah keinen Grund, derlei Verbalerotik zu dekantieren, warum auch. "Es gibt ja nichts, was nicht mit Sex zu tun hat", sagt Rachel (Cathleen Baumann) gleich am Anfang, ihr Mann Jake widerspricht: "Steuern." Jake, ebenfalls Anwalt, fällt die Rolle des Vermittlers zu - Thiemo Schwarz verdeutlicht sehr schön das Oszillieren zwischen Süffisanz und Betroffenheit. Jake jedenfalls ist es, der später Edward aufklären wird: "Du weißt, sie müssen nur noch Nein sagen." Hier gibt es Lacher. Eine Art "Me Too"-Effekt.

Gayles Verteidiger und der Anwalt ihres Vergewaltigers sind dicke Freunde

Torben Kessler hat den Mut, auch die unsympathischen Züge Edwards - seine Kälte, seinen Hass auf das Wort "Empathie" - zu zeigen. In der zentralen Verhörszene, die per Live-Video eingespielt wird, macht es Ed das größte Vergnügen, die Zeugin, also das Opfer, mit Fremdwörtern zu quälen, die sie nicht versteht. Und war sie nicht betrunken, kann sie sich also überhaupt erinnern? Das spielt sich natürlich vor Eds eigener Angelegenheit ab. Professionelle Techniken wenden die Protagonisten gern auch im Privatleben an, das hat man drauf.

Ed ist befreundet mit seinem Kollegen Matt, für den Moritz Führmann eine spannende Balance zwischen "femininer" Weichheit und intellektueller Schärfe findet. Als die beiden einmal um die Gunst der schönen Zara (Tabea Bettin) konkurrieren, bedrängen sie sich gegenseitig mit "geschlossenen Fragen". Zara ist beeindruckt. Juristen sind von Berufs wegen damit beschäftigt, "Narrative zu spinnen" beziehungsweise zu zerstören. Zugespitzt gesagt: Es geht nicht um Wahrheit, es geht um Plausibilität. Aus dieser Differenz bezieht schließlich auch Nina Raines Stück seine diskursive Kraft und Ambivalenz.

Lore Stefanek - sie hat in Düsseldorf schon Simon Stephens' "Heisenberg" erfolgreich inszeniert - ist eine Spezialistin für solche Ambivalenzen intellektueller und emotionaler Art. Das Stück hat gewissermaßen eine dramatische und eine Boulevard-Ebene; die Bühne von Janina Audick hat sich für das Drama entschieden: Weitläufigkeit, griechische Säulen als Anspielung auf die Medea-Zitate im Text, kaum Möbel. Gut so, beiläufig parliert wird ja in anderen Stücken genug.

Hier geht es ganz offensichtlich um schwere Themen. Um aber die Ambivalenz, die in der Natur der Sache liegt, nicht unerträglich werden zu lassen, unterstreicht die Regie, dass Gayle zweifellos Opfer einer Vergewaltigung wurde. Karin Pfammatter hat einen erschütternden Auftritt: Sie sucht nach dem Prozess die Clique auf und stellt fest, dass ihr vermeintlicher Verteidiger (der in Wahrheit "Anwalt der Krone" ist, wie Matt deutlich macht) und der Anwalt ihres Vergewaltigers dicke Freunde sind. Gayle, als Vertreterin der Unterschicht, wird von den elitären Vertretern der Gerechtigkeit mit Herablassung und Verachtung gestraft. Das tut weh.

"Mannigfaltig ist das Elend der Erde, grenzenlos aber ist ihre Erbärmlichkeit" - so hat es Edgar Allen Poe ausgedrückt. Wenig hat sich daran geändert. Am Schluss liegt es an Kitty - bei Sonja Beißwenger fast die sympathischste Figur des Dramas -, ob sie ihrem Mann nach der Lektion, die ihm erteilt wurde, noch mal verzeihen kann. Man weiß nicht recht, ob man es ihm wünschen soll.

© SZ vom 23.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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