Theater:Im Streichelzoo

Lesezeit: 1 min

Die Liebe? Könnte vielleicht doch gelingen, auch in digitalen Zeiten. Jedenfalls legt das ein Abend an der Berliner Schaubühne nahe, der den Titel "Love hurts in tinder times" trägt. Und Sex? Ist gar nicht so anders, als gemeinsam Pizza zu essen.

Von Peter Laudenbach

Natürlich tut die Liebe in Zeiten von Dating-Portalen immer noch weh. Aber wie sehr und weshalb genau und wie sie vielleicht doch gelingen könnte, erfährt man auch in Patrick Wengenroths Abend "Love hurts in tinder times" an der Berliner Schaubühne nicht. Dafür surft die Inszenierung höchst charmant und verspielt durch die Gefühlslabyrinthe und romantischen Verwirrungen des Herzens. Wengenroth, wahrscheinlich der einzige deutsche Theatermacher, dem man den Feminismus abnimmt, koppelt empfindsame Passagen aus Romanen des Selbsterforschers Rousseau mit Pop-Perlen der Achtzigerjahre. Beides benutzt er als Startrampe, um die eigene Ratlosigkeit in Liebesdingen so offenherzig wie clever auszustellen. Der Regisseur führt als anmutiger Conférencier auf High Heels und im eng anliegenden, halb durchsichtigen Negligé durch den Abend. In seinem Fall ist das keine öde Travestie-Nummer, sondern ein genussvoll demonstriertes Gender-Statement: Wenn das Geschlecht und seine Zuschreibungen schon eine soziale Konstruktion sind, kann man sich ja auch ein Vergnügen daraus machen, damit zu spielen. Lise Risom Olsen, Andreas Schröders, Mark Waschke und der lässig auf dem Sofa lagernde Musiker Matze Kloppe machen sich erst gar nicht die Mühe, Rollen zu verkörpern. Stattdessen ziehen sie sich erst mal aus, beschmieren sich mit Farbe und beschmusen einander auf das Unschuldigste: Wenn die Liebe ein Schlachtfeld ist, tut der Ausflug in den Streichelzoo auch mal ganz gut. Bekenntnisse aus der eigenen Biografie wechseln sich mit verstiegenen Überlegungen ab: Ist über Sex zu reden und gemeinsam Pizza zu essen nicht eigentlich auch schon Sex? Und wenn ja, weshalb machen die Leute dann so ein Theater um die Penetration? Sollte man nicht viel öfter miteinander Pizza essen und den Liebesakt als Zugabe nicht verschmähen? Das ist, was das Tempo der Gedanken angeht, so etwas wie ein tiefenentspannter René-Pollesch-Abend in Slow Motion, der angenehm warmherzig und gefühlsecht mit dem Zuschauer flirtet.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: