Theater:Ich-Verwirrung

"Das Chamäleon", Jürgen Kuttners Identitätsrevue am Münchner Marstall, will nicht zünden. Es liegt nicht nur an der fehlenden Showtreppe.

Von Cornelia Fiedler

Ich habe es nicht leicht - nein, falsch, das "Ich" hat es nicht leicht heutzutage: Pflicht zur Selbstoptimierung, digitale Imagepflege, Zwang zur Identifikation mit dem Job - und all das, obwohl postmoderne Theoretiker das Subjekt doch längst abgeschafft haben. "Wer ,ich' sagt, lügt schon mal", so fasst der Diskurs-Entertainer Jürgen Kuttner dieses Dilemma in seiner Identitäts-Revue "Das Chamäleon" im Münchner Marstall treffend zusammen. Dort sausen zu Beginn bunte, schmale Wände von rechts nach links über die Bühne. Plötzlich steht da eine weiß maskierte Gestalt mit schwarzer Melone, dann zwei, dann wieder keine - ein charmanter Taschenspielertrick im Großformat von Bühnenbildner Maximilian Lindner. Dann aber platzt Kuttner im goldenen Glitzer-Anzug herein und behauptet, hier könne man einfach keine Revue machen, dafür fehlten die Showtreppe und die langbeinigen Girls.

Ob dieser gefühlte Mangel ihm den Spaß am intelligenten Quatsch verdorben hat? Die folgenden Nummern sind mal unterhaltsam, mal zäh, aber selten zündend: Gunther Eckes, Genija Rykova und Arthur Klemt stellen beispielsweise als Reenactment-Trio "Selber Machen" das umstrittene Experiment "The Three Christs of Ypsilanti" von Milton Rokeach nach: Drei Psychiatriepatienten, die sich jeweils für Gott halten, geraten darin wunschgemäß in ego-theologische Auseinandersetzungen.

Zur weiteren Ich-Verwirrung setzt Kuttner, der am Residenztheater zuletzt mit "Aus dem bürgerlichen Heldenleben" zu sehen war, auf "Brehms Tierleben", den Film "Fight Club" - nachgestellt mit Zuschauern -, Descartes, Marx, Adorno und diverse Schlager. Der große zeitgemäße Diskursrausch bleibt dabei Behauptung. Für das ohnehin realitätsgeschundene Ich ist das gut. Es ist an diesem Abend keinen größeren identitären Herausforderungen ausgesetzt.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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