Theater:Gekonnt sadistische Musikauswahl

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(Foto: Matthias Horn)

Mit dem "Ballroom Schmitz" setzen Barbara Bürk und Clemens Sienknecht ihre Radio-Shows fort.

Von Peter Laudenbach

Wer nach diesem prächtig sinnlosen Abend nicht glücklich beschwingt nach Hause tänzelt, braucht vermutlich ein Hörgerät. Mit dem "Ballroom Schmitz" setzen Barbara Bürk und Clemens Sienknecht am Berliner Ensemble ihre am Hamburger Schauspielhaus entwickelte Reihe vorbildlich versponnener Radio-Shows fort. Held des Abends ist ein rätselhaftes Genie, ein gewisser Bernhard Schmitz, geboren 1890 und vermutlich unsterblich. Wie ein Zelig der elektromagnetischen Wellen hat der Hörfunkpionier seine Spuren im Jahrhundert der Medien- und Kunstrevolutionen hinterlassen. Nebenbei erfindet er noch den Computer ("High Tech auf Low Level"), kreiert ein Singspiel namens "Atom der Oper" und wirkt bei der Uraufführung "Bommeln an der Tracht" eines gewissen Bertolt Brecht mit. Und weil wir im BE sind, kräht Herr Brecht aus dem Off seine Regieanweisungen. Ein paar Jahrzehnte und Popkulturen später erholt sich der unverwüstliche Herr Schmitz mit Rockmusik vom Brecht- und Rechthaber-Theater: Er stolpert öffentlichkeitswirksam über ein Kabel und erfindet die Kunst des Stagedivings, das in puncto Publikumsbeteiligung dem Epischen Theater deutlich überlegen. Um es mit dem im Lauf des Abends zitierten Prince zu sagen: You sexy Bernhard Schmitz. Jimi Hendrix hat ihm auch einen Hit gewidmet: Hey Bernhard, where are you goin' with that gun in your hand?

Die sangesfreudige Besatzung der nostalgischen Radioshow ist bestens aufgelegt. Tonmeister Sien-knecht gibt einen im Studio gealterten Zausel-Stoiker, neben dessen eingefrorenem Gesicht Buster Keaton als Stimmungskanone durchgehen würde. Annika Meier beweist im Fifties-Outfit, wie sich Kulturbürgerin-Strenge mit Swing vereinbaren lässt. Tilo Nest ist mindestens der beste Joe Cocker seit Joe Cocker. Apropos Joe Cocker: Die Musikauswahl ist gekonnt sadistisch, also mit hohem Quotenradio-Anteil, aber wird so liebevoll serviert, dass sogar Cocker-Geknödel wie Musik klingt. Der titelgebende Glam-Großklassiker ist natürlich ein Geschenk der Sweet: Der "Ballroom Blitz" wird zum Ballroom Schmitz.

© SZ vom 26.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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