Theater:Gegen Nazis, Trump und Erdoğan!

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Falk Richters Stück "Verräter" am Berliner Gorki-Theater ist ein Agitprop-Scherzartikel. Die üblichen Verdächtigen sorgen für die nötige Grundhysterie.

Von Peter Laudenbach

Falk Richter gelingt es, mit der Inszenierung seines neuen Stücks "Verräter" am Berliner Maxim-Gorki-Theater gleich mehrere Zumutungen der jüngeren Theatermoden in Reinform vorzuführen. Dabei handelt es sich im Kern um die Inflation authentisch autobiografischer Bekenntnisse, um Dauerironie und um den Leerlauf der Selbstreferenz. Weil der Abend das jüngste Produkt aus Richters Serienproduktion aufgeregter Agitprop-Stücke ist, sorgen die üblichen Verdächtigen für die nötige Grundhysterie. Wenn Nazis, Trump, Erdoğan, Putin und andere homophobe Horrorclowns schon sonst zu nichts gut sind, dienen die leicht herbeizitierbaren Feindbildlieferanten immerhin als Geschmacksverstärker und Bedeutungsaufpumper für ansonsten eher belanglose Theaterabende. Mag der Erkenntnisgewinn auch gegen null gehen, bietet das weltpolitische Hintergrundrauschen zumindest einen wirkungsvollen Paranoia-Schub und das Panorama, vor dem das Hipster-Bühnenpersonal die eigenen Befindlichkeiten ausbreiten kann.

Dass der Abend erst gar nicht den Anspruch erhebt, als politische Analyse ernst genommen zu werden, macht der Unsinn deutlich, der zwecks Krawallsteigerung proklamiert wird - etwa dass sich die CDU nicht von Rechtsradikalen abgrenze oder dass mit dem drohenden Übergang vom Neoliberalismus zum Neofaschismus nur ein Gewaltsystem ein anderes ablöse. Die Statements sind in ihrem robusten Schwarz-Weiß-Weltbild etwa so differenziert wie die Parolen einer Pegida-Demonstration. Der Hang dazu, die eigene Hysterie für ein zuverlässiges Messinstrument zu halten, scheint eine notwendige Voraussetzung dieses Theaters zu sein, das ein politisches Interesse an Gesellschaft narzisstisch durch die Faszination von den eigenen Gefühlslagen ersetzt hat. Auch darin gleicht es den rechtspopulistischen Stimmungsjongleuren.

Das überstrapazierte Mittel der authentisch-autobiografischen Erzählung der Darsteller führt neben viel eitlem Leerlauf und aufgedrängten Intimitätsbekenntnissen immerhin zu einer der wenigen interessanten, weil beobachtungsgenauen Passage des Abends. Mareike Beykirch berichtet vor einer abgefilmten Plattenbau-Hochhauslandschaft von einer Jugend in der ostdeutschen Provinz und von der sozialen Scham der Aufsteigerin. Angekommen im Berliner Hochkulturbetrieb ist der Schauspielerin ihr in Hartz-IV-Dauerwarteschleifen abgerutschtes Herkunftsmilieu so peinlich wie ihr eigener Aufsteiger-Status, der sie ihrer Familie entfremdet.

Das könnte an die Diskussion um den Verrat des arrivierten linksliberalen Kulturbürgertums an Sozialverlierern anknüpfen, die spätestens mit Didier Eribons Essay "Rückkehr nach Reims" eingesetzt hat. Richter zitiert Eribons Essay dann auch im Verlauf des Abends, aber nur, um sich darüber lustig zu machen, dass er als Stoff für eine internationale Großproduktion mit Starbesetzung sicher ein schöner Theatererfolg wäre. Nicht nur weil Thomas Ostermeier mit seiner Theaterfassung von Eribons Essay Anfang Juli in Manchester Premiere hat, ist Richters Polemik peinlich. Sie zeigt neben dem wachen Konkurrenzbewusstsein gegenüber anderen Regisseuren vor allem, dass jedes verhandelte Thema vor allem unter Gesichtspunkten der theatralischen und kulturbetriebstauglichen Verwertbarkeit benutzt wird: Dem karrieregestählten Theaterprofi wird alles zu Theater.

Insofern passt das routinierte Spiel mit der Selbstreferenzialität, die sich vor allem für den Theatervorgang selbst, weniger für die in ihm verhandelten Themen interessiert. Das ist halb lustig und nicht ungeschickt bei der Gorki-Regiekollegin Yael Ronen abgeschaut, wenn ein fürchterlich deutscher Dumpfbackenperformer (souverän vorgeführt von Daniel Lommatzsch) am liebsten ein Musical über den Holocaust machen will ("so im La-La-Land-Stil"). Er ist sehr enttäuscht, als er zu Recherchezwecken die israelische Schauspielerin Orit Nahmias nach ihren persönlichen und familiären Erfahrungen mit dem Holocaust befragen will und sie seinen voyeuristischen Interessen nicht mit authentischem Biografie-Rohstoff dienen kann. Bei aller Sympathie für die Spielfreude der Darsteller - man weiß am Ende nicht, was unangenehmer ist, die aufgekratzte Konfusion oder die Überflüssigkeit der Veranstaltung.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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