Theater:Erosionen

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Wie geht es weiter an den beiden großen Münchner Schauspiel-Bühnen? Die Häuser verlieren Intendanten, Dramaturgen und Hausregisseure.

Von Christine Dössel

Wie geht es weiter an den beiden großen Münchner Schauspielbühnen? Martin Kušej, der Intendant des Residenztheaters, wechselt zur Spielzeit 2019/20 ans Wiener Burgtheater - und steigt für dieses Karriereziel zwei Jahre früher aus seinem Vertrag aus. An den Kammerspielen verlassen Chefdramaturg Benjamin von Blomberg und Hausregisseur Nicolas Stemann überraschend das Team von Matthias Lilienthal, um 2019/20 die Intendanz am Schauspielhaus Zürich zu übernehmen. Anlass für viele Spekulationen.

Wer folgt auf Kušej, um den Riesentanker "Resi" einerseits auf bildungsbürgerlichem Kurs zu halten, andererseits aber vielleicht auch mal in aufregendere Gewässer zu lenken? Und wird Lilienthal den Abgang seiner Getreuen zum Anlass nehmen, sein Performance-, Diskurs- und Soziotheaterprogramm an den Kammerspielen neu zu denken? Die sinkenden Besucherzahlen dort sind kein Geheimnis. In der gerade zu Ende gehenden Spielzeit, Lilienthals zweiter, lag die Platzausnutzung bei 63 Prozent. Sodass es in Internetkommentaren schon heißt: "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff."

Es gibt in beiden Häusern viel Luft für fällige Entwicklungen

Nein, einen Kurswechsel wird es nicht geben, sagt Lilienthal auf Nachfrage. Auch sei er kein bisschen sauer, dass sich Stemann und Blomberg vorzeitig verabschieden, um in Zürich ihr eigenes Ding zu machen. Das seien "normale Vorgänge", die er auch von anderen Theatern kenne. Außerdem seien die beiden in der kommenden Spielzeit noch am Haus tätig. So redet Lilienthal eine Situation schön, in der man auch eine Erosion sehen könnte. Schließlich sind ihm auch schon eine Reihe beliebter Schauspieler davongelaufen.

Andererseits betont der Exil-Berliner stets, dass er dann am besten sei, wenn es schwierig werde. Wer auch immer die Nachfolge von Martin Kušej antritt, wird das seit jeher konservativere Haus im Kontrast zu den Kammerspielen klar als Schauspieler-, Literatur- und großartiges Ensembletheater positionieren und trotzdem mehr Richtung Experiment, Formenvielfalt, Internationalität und Jugend öffnen müssen. Es gibt da viel Luft nach oben, hat Kušej es doch verfehlt, dem Resi ein starkes, unverkennbares Profil zu geben und es in der Bundesliga mitspielen zu lassen. Für ein Haus dieser Größe und eine Stadt wie München wird dort schlicht zu braves Theater gemacht. Ausreißer nach oben und Zuschauer-Herausforderungen wie die Inszenierungen von Frank Castorf, Oliver Frljić oder das grandiose "Räuber"-Räderwerk von Ulrich Rasche leistet sie sich nur vorsichtig dosiert.

Was am Resi nach Kušejs Weggang nottut, ist ein selbstbewusster, theatersinnlicher, herzlicher, trotz eines überalterten Abonnentenstamms unerschrockener Neuanfang. Mit den bisherigen Hausregisseurinnen Amélie Niermeyer und Tina Lanik wäre dies nicht möglich, auch eher nicht mit der soliden Zürcher Noch-Intendantin Barbara Frey, deren Namen in der Gerüchteküche kursieren. Aber wann hätte das bayerische Kunstministerium je eine Frau auf so einen Posten gesetzt?

Mit Thomas Ostermeier, dem künstlerischen Leiter der Berliner Schaubühne, ist ebenfalls nicht zu rechnen. Der hat in Berlin einen Vertrag bis 2023 und ist, was München angeht, ein Herzbube der Kammerspiele. Der derzeit heißeste Kandidat ist einer, dem man es zutrauen und wünschen würde: Andreas Beck, der in Basel zeigt, wie man prononciertes, dramaturgisch klug gedachtes Theater für eine Stadtgesellschaft macht - auf der Höhe der Zeit. Dass er am Wiener Burgtheater einst Dramaturg bei Nikolaus Bachler war, dem jetzigen Münchner Opernchef, schadet sicher nicht.

Und dann ist da noch ein Kandidat aus Berlin zu nennen: Frank Castorf hat gerade ein Haus verloren und wäre nun frei.

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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