Theater:Ein Himmelfahrtskommando

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Hauptsache, es sieht nach Kunst aus: Das Bühnenbild hat der Künstler Via Lewandowsky gestaltet. (Foto: Lucie Jansch/Berliner Ensemble)

Leander Haußmann mogelt sich mit einer biederen Aufführung am Berliner Ensemble durch Brechts "Der gute Mensch von Sezuan".

Von Peter Laudenbach

Bisher hatte Leander Haußmann für Brecht-Verehrer nur gut gelaunten Spott übrig. "Unter Regisseuren gilt Brecht als der Autor, den zu inszenieren einem Himmelfahrtskommando gleichkommt", gab er vor Kurzem anlässlich des Aufführungsverbots der Brecht-Erben für Frank Castorfs düster delirierenden Münchner "Baal" zu Protokoll. "Man wird schier erdrückt von so viel Sachkunde, die einhergeht mit Intoleranz und kunstfeindlichem Bürokratismus, grauhaarig und eitel in seiner ewigen, durch nichts hinterfragten, lehrerhaften, bildungsbürgerlichen, silberhaarigen, cordbejackten, nickelbebrillten, dünkelhaften Einfältigkeit."

Leander Haußmann mag ein naiver Romantiker und schrulliger Boheme-Altrocker sein, aber er sagt, was Sache ist. Jetzt unternimmt er am Berliner Ensemble selbst den Versuch, es mit der Nickelbrillen-Fraktion aufzunehmen, in diesem Fall am Beispiel der im Deutschunterricht ob ihre simplen Didaktik so beliebten Parabel "Der gute Mensch von Sezuan". Sie hält für die silberhaarigen Cordjackenträger im Publikum die Mitteilung parat, dass es in einer bösen Welt (der Kapitalismus!) nicht einfach ist, ein guter Mensch zu sein. Das ist natürlich eine echte Neuigkeit.

Der zentrale Gedanke des Stücks, der Konflikt wie der Abstand zwischen Arm und Reich seien nicht mit etwas gutem Willen in Wohlgefallen aufzulösen, wirkt heute wie ein kluger, böser Kommentar zum Umgang des reichen Europa mit den Flüchtlingen. Haußmann, stets im Dienst der guten Unterhaltung, interessiert sich dafür nicht.

Der Aufwand einer sich mühsam über vier Stunden ziehenden Inszenierung wäre nicht unbedingt nötig gewesen, um seine Sottissen gegen eine erstarrte Brecht-Märchen-Schule am lebenden Objekt zu belegen. Dass ihr die Ehre widerfährt, von den Brecht-Gralshütern verboten zu werden, ist bei dieser rundum harmlosen, kunterbunten Veranstaltung nicht zu befürchten. Wie ein braver Schüler der Brecht-Orthodoxie müht sich Haußmann, das Märchen von der guten Shen Te in der harten Marktwirtschaft zu illustrieren, ohne den Betrachter mit verwirrenden Gedanken oder Ausflügen in eine etwas kompliziertere Wirklichkeit zu behelligen. Dabei fängt der Abend vielversprechend, nämlich angenehm lässig an. Vor einem Wellblechzaun und unter wuchtigen Laternen wie an einer der vielen zugigen Ecken der Großstadt kramt der Wasserverkäufer Wang (Norbert Stöß) in einem Mülleimer nach Pfandflaschen und berlinert dabei muffig ins Publikum. Er wartet auf drei Götter, die das Gossen-Sezuan besuchen wollen, um zu überprüfen, ob hier ein guter Mensch leben kann.

Dafür, dass das irgendwie nach Kunst aussehen soll, sind der bildende Künstler Via Lewandowsky (Bühnenbild) und eine Lichtregie mit einer Vorliebe für Bonbonfarben (Ulrich Eh) zuständig. Lewandowsky bedient sich so großzügig wie oberflächlich bei den Stilmitteln Bert Neumanns. Mal sorgen viele weiße Plastikstühle auf der leeren Bühne für Zeitkolorit mit Trash-Note. Mal werden die Schnorrer, die der guten Shen Te die Haare vom Kopf fressen, in ein verrauchtes Plexiglas-Kabuff gesperrt - Shen Tes kleines Tabakgeschäft, das von den Elendsgestalten okkupiert wird.

Die spielfreudige Schauspielerin Antonia Bill rettet den Abend mit ihrem Wunsch, Gutes zu tun

Es ist ein großes Glück für Haußmann, für Brecht und für die armen BE-Kunden, das Shen Te von der jungen, ausstrahlungsstarken, spielfreudig leuchtenden Antonia Bill gespielt wird. Sie trägt den ganzen Abend, ihr nimmt man ohne infantiles Sentiment den Wunsch ab, Gutes zu tun. Den Wechsel zum kalten Pragmatiker Shui Ta, in den sich Shen Te immer wieder verwandeln muss, um nicht von ihren Wohltaten ruiniert zu werden, führt sie beiläufig, leicht und angenehm uneitel vor. Ob es wirklich nötig oder nur dem Altmänner-Sexismus ihres Regisseurs und dem klebrigen BE-Stil geschuldet ist, dass sie sich ausgerechnet dann auszieht, als sich Shen Te wünscht, der Anstand und das Gute hätten statt Mitleid auch Waffen zur Verfügung, wissen wir nicht. Immerhin ist die Verbindung von Brechts Bolschewisten-Kitsch mit Boulevard-Fleischbeschau so unangenehm wie auffällig.

Die drei Götter (Traute Hoess, Swetlana Schönfeld, Ursula Höpfner-Tabori) marschieren - kleiner Scherz - als großzügig ausgepolsterte Wuchtbrummen mit Kopftuch und Einkaufstaschen auf. Sie blicken - noch so ein kleiner Scherz - auf der Suche nach einem guten Menschen durch ein Opernglas ins Publikum, natürlich vergebens.

Es sind diese biederen Witze, die den Abend so fürchterlich bemüht wie vergeblich auflockern wollen und so erst recht seine schwerfällige Kitsch-Seligkeit vorführen. Ehrlicherweise baut Haußmann irgendwann nur noch Operetten-Tableaus mit einem vor buntem Himmel schwebendem Flieger, einem possierlich choreografierten Chor der Armen und Entrechteten, tanzenden Straßenlaternen und einer überdimensionalen, stoisch ins Publikum winkenden, goldenen chinesischen Glückskatze wie aus dem China-Restaurant.

Ein Wunder, dass auf der Bühne keine Ente Sezuan, sondern nur Büchsenbier vertilgt wird. Anders als in Leander Haußmanns besseren Inszenierungen hebt der Quatsch nicht ins verspielt Absurde ab, sondern bleibt immer auf dem Berliner-Ensemble-Beamten-Niveau, auf dem auch Witze garantiert der Stück-Fabel, der Überdeutlichkeit und einer sehr überschaubaren Weltsicht dienen.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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