Theater:Der BND ist böse

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Am Theater Bonn wird nach einem Helfer von Anis Amri gesucht. Man erfährt viel über Geheimdienste und Politik. Aber die Fiktionen überlagern die Fakten.

Von Cornelia Fiedler

Die Charaktere scheinen aus einem Agenten-Blockbuster zu stammen: der naive Geheimdienst-Frischling, der schräge, gewaltbereite Kollege, die schwangere Verlobte und der beste Freund, der bei einem Anschlag getötet wird. Am Theater Bonn heißt der Attentäter allerdings Anis Amri, und Jungagent Tim soll nach dem Berliner Weihnachtsmarkt-Attentat dessen mutmaßlichen Helfer Gruber jagen. Pikantes Detail - der war Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes.

Gruber ist eine fiktive Figur. Simon Solberg, Autor und Regisseur des neuen Stückes "BND - Big Data is Watching You", hat ihn als Personifikation all dessen ent- wickelt, was seit den NSA-Enthüllungen und dem NSU-Skandal an berechtigtem Misstrauen gegenüber Geheimdiensten schwelt. Auf der Jagd nach Gruber erfährt Tim üble Wahrheiten über seinen Arbeitgeber: dass der BND-Vorläufer 1946 von NS-Tätern aus Wehrmacht, Gestapo und SS aufgebaut wurde. Dass Geheimdienste via Smartphone-Daten und Facebook-Likes mehr über uns wissen können als engste Vertraute. Und dass Lügen des BND-Informanten "Curveball" der amerikanischen Regierung als Entscheidungsgrundlage für den Irakkrieg dienten. Neu ist das alles nicht, dennoch wirkt es in komprimierter Form erschütternd. Schnelle Dialoge und das ironische Spiel mit Genre-Stereotypen garantieren gute Unterhaltung. Das große Problem des Abends ist aber, dass die Vermischung von Fiktion und Fakten den Recherchepart diskreditiert. Sogar handfeste Skandale verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn die Story um den flüchtigen Agenten Gruber in Richtung Verschwörungstheorie abbiegt. Irgendwann ist der junge Held sogar überzeugt, der "Islamische Staat" sei ein Produkt des BND. Dass Tim selbst am Ende Gruber ist - und ziemlich durchgeknallt - ist ein billiger Ausweg aus dem Schlamassel. Ein guter Plot für einen Theaterabend, der so ambitioniert begonnen hat, ist es nicht.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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