Theater:Albtraum der Demokratie

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Der kroatische Regisseur Ivica Buljan hat ein Faible für Philosophie und widerständige Texte. Im Marstall inszeniert er Jean Genets Stück "Der Balkon" als böse funkelnde Komödie

Von Petra Hallmayer

Leicht zugängliche Stoffe sind nicht seine Sache. Der Kroate Ivica Buljan hat ein Faible für widerständige Texte, für "die Väter und Großväter der Postmoderne". Bei seinem Regiedebüt in München reicherte er Pier Paolo Pasolinis "Der Schweinestall" mit mitreißenden Liedern an. Nun wendet er sich Jean Genets selten aufgeführtem Stück "Der Balkon" zu, dessen Schauplatz ein Bordell ist. Irmas "Haus der Illusionen" offeriert keinen simplen Sex, sondern ausgeklügelte Inszenierungen. Hier können normale Bürger in die Rolle eines Richters, eines Bischofs oder Generals schlüpfen, ihre Allmachtsfantasien ausagieren. Derweil rollen draußen die Köpfe, tobt in der Stadt die Revolution. Um deren Scheitern vorzutäuschen, die Massen zu blenden, ersinnt der Gesandte der Regentin mit dem Polizeichef eine Finte. Er lässt die maskierten Bordellbesucher mit Irma als Königin auf den Balkon treten. Der Revolutionsführer Roger wird als Polizeichef kostümiert in einen Mausoleumssalon geleitet und kastriert sich selbst.

Fast alles ist käuflich: Cynthia Micas als Carmen umgeben vom dem, was die Warenwelt so hinterlässt. (Foto: Konrad Fersterer)

"Es ist ein ungeheuer komplexer Text", erklärt Buljan. Um sich ihm anzunähern, schlägt er weite Bögen von der Serie "The Deuce" bis zu Foucaults "Geschichte der Sexualität". Als er hörte, dass deren vierter Band erschienen sei, hat er ihn sofort bestellt, und er freut sich auf die Lektüre wie andere auf einen Strandurlaub oder das neueste Smartphone. Ivica Buljan ist ein ungemein präziser und leidenschaftlicher Texterforscher, der mit nie ermüdender Begeisterung Worte und Motivketten abklopft. Einen hilfreichen Schlüssel zu Genets Stück fand er bei Lacan, der dieses anhand seiner Konzepte der symbolischen Ordnung und des imaginären Phallus analysierte. In Jugoslawien, so Buljan, waren das Theater und die Philosophie eng verbunden. "Für meine Arbeit sind philosophische Texte wahnsinnig wichtig." Die Zuschauer aber, betont er, brauchen die theoretischen Reflexionen hinter seinen Inszenierungen nicht zu kennen. "Die Magie eines Theaterabends muss voraussetzungslos funktionieren."

Der 1965 in Sinj geborene Regisseur, Kritiker und Autor ist geprägt vom Theater der Sechzigerjahre, Gruppen wie dem Living Theatre und La MaMa, von Performance- und Konzeptkünstlern wie Marina Abramović und Tomislav Gotovac. Als Grenzgang zwischen psychologischem Schauspiel und Performance hat er seine Marstall-Inszenierung angelegt, für die der Castorf-Bühnenbildner Aleksandar Denić eine Installation kreiert hat mit Objekten aus der Konsumwelt. Im Zentrum steht die Frage nach den Gefährdungen der Demokratie und der Macht der Bilder. "Wir erleben eine nicht länger kaschierte Pornographisierung der Politik. Gewählt werden keine realen Politiker, sondern Bilder. Es geht nicht um Inhalte, sondern wie in Reality Shows um die Inszenierung von Personen. Die perfekte Verkörperung dieser Albtraumversion von Demokratie ist Donald Trump."

Sein Regiedebüt in München gab Ivica Buljan mit Pasolinis Stück "Der Schweinestall". (Foto: Konrad Fersterer)

Auf plumpe Aktualitätsverweise aber verzichtet Buljan bewusst. Gegenwartsdramatiker, meint er, machten es sich und den Zuschauern oft zu leicht. "Ich glaube, es gibt ein Bedürfnis nach vielschichtigeren, poetischen Texten, die sich nicht so einfach in Alltagsprosa übersetzen lassen."

Wie in "Der Schweinstall" sind in die Aufführung Lieder eingewoben, so die Vertonung von Genets im Gefängnis entstandenem Poem "Le Condamné à mort". Nicht zuletzt möchte Buljan die Komik in dessen Stück ausspielen. "Wir wollen eine böse funkelnde Komödie zeigen, die die Zuschauer in eine fremde, verstörende Welt entführt und dabei viel über den Zustand unserer eigenen Gesellschaft erzählt.

Der Balkon, Premiere, Donnerstag, 22. Februar, 19.30 Uhr, Marstall

© SZ vom 22.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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