Teen-Star Chloë Grace Moretz:Höllenkind

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Chloë Grace Moretz im April 2010 bei der Premiere von "Kick-Ass" in Hollywood - aktuell läuft Teil 2. (Foto: AFP)

Die 16 Jahre alte Chloë Grace Moretz macht Filme, die Gleichaltrige gar nicht anschauen dürfen. Was machen so viele blutrünstige Rollen mit einem jungen Mädchen? Ein entspanntes Treffen mit einer Extremschauspielerin.

Von Martin Wittmann

Als sie sieben ist, zieht Chloë Grace Moretz in ein Haus, in dem ein Mann einst seine ganze Familie niedergeschossen hat. Sie freundet sich dort mit dem Geist der toten Tochter an. Mit zehn lebt sie nicht mehr beim Vater, der die Kinder schlug, sondern bei ihrer drogensüchtigen Mutter und deren pädophilem Zuhälter. Mit elf stellt sie sich als Nachwuchskillerin mit den Worten "Okay, ihr Fotzen, dann zeigt mal, was ihr so drauf habt" mehreren Kerlen zum Kampf. Sie tötet sie mit Speerstößen ins Herz.

Später versucht ein Mann sie in einer Damen-Toilette zu vergewaltigen, ihr Beschützer aber rettet sie. Das Mädchen, von zuhause ausgerissen und auf Droge, sieht ihn die Klotüre nun immer wieder auf den Kopf des Mannes einrammen, bevor er das Waschbecken aus der Wand reißt und auf den blutigen Schädel seines Opfers wirft. Vergewaltigt wird das Mädchen später dennoch, von dem Beschützer. Da ist sie 14.

So geht das endlos weiter, so endlos zumindest, wie das für eine 16 Jahre alte Jungschauspielerin möglich ist. Was diese bizarre Rollenauswahl mit einem Mädchen macht, weiß niemand. Was sie aus ihr macht, ahnt ganz Hollywood: Den kommenden Star, the next big thing, die nächste große Kleine. Nach all den verstörenden Filmen hat sie nun schon mit Martin Scorsese "Hugo Cabret" und mit Tim Burton "Dark Shadows" gedreht . Ein Name wie Chloë Grace verpflichtet.

Wie en hübsches Mädchen in Mamas Kleidern

Die kürzeste Geschichte, die es über Chloë Moretz zu erzählen gibt, ist ihre Biografie: Sie wird 1997 in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia geboren, in eine sehr christliche Familie, die deutsche und englische Wurzeln hat. Als einer ihrer vier älteren Brüder fünf Jahre später auf einer Schauspielschule in New York angenommen wird, zieht sie mit ihm und der Mutter dorthin. Sie lernt bei ihm, bis heute.

Auch auf ihrer Reise durch Europa sind sie zu dritt. "Anders ging es gar nicht", sagt sie, "ich wäre auf Reisen ja ziemlich einsam." Sie sitzt in der Suite eines Londoner Hotels, so tief im Sessel eingesunken, dass von der Seite nicht zu erkennen ist, ob sie zwischen der schwarz-weißen Bluse und den schwarzen Hochhakigen einen Rock oder eine kurze Hose trägt. Mit der linken Hand führt sie ein Glas zum Schmollmund, die rechte streckt sie zur Begrüßung aus. Sie sieht aus, als würde ein hübsches Mädchen in Mamas Kleidern Diva spielen.

In England ist sie, um über ihr neues Werk zu sprechen. Es ist die Fortsetzung des Filmes, in dem Chloë Moretz 2008 als Elfjährige die Herzen ihrer Gegner durchbohrte und mit dem sie nicht nur deswegen erste Beachtung fand: "Kick-Ass" hieß der Film. Seit Donnerstag läuft der zweite Teil in den deutschen Kinos, er ist nicht sanftmütiger als sein Vorgänger und hat wie erwartet in den USA eine Debatte über die Verherrlichung von Gewalt ausgelöst.

So vereint Chloë Moretz zwei (sehr öffentlichkeitserregende) Fragen auf sich, die Hollywood seit jeher umtreiben: Wie brutal ist das Aufwachsen vor der Kamera? Und wie brutal darf eigentlich Kino sein?

Die erste Frage muss man nur als "diese eine Frage" ankündigen, bevor die Schauspielerin sie erst vervollständigt, dann zur "nervigsten überhaupt" erklärt und schließlich beantwortet. "Viele Leute sprechen mich auf meine verlorene Kindheit an. Wie will das jemand von außen beurteilen? Ich reise seit Jahren um die Welt, lerne Länder und Menschen kennen, drehe mit tollen Regisseuren. Ich hatte eine wunderbare Kindheit", sagt sie geduldig, aber bestimmt, und von nun an lässt sich aus dem Gespräch eine Anleitung für reibungslose Karrieren herausfiltern. Was also unterscheidet die charakterstarken von den absturzgefährdeten Kinderstars?

Den Ausschlag gebe in beiden Fällen die Familie, sagt sie. Junge Stars bräuchten Eltern, "die einen im Notfall lieber aus dem Business nehmen und ins Zimmer sperren als weiter zum Geldverdienen zu schicken." Sie habe ihre Familie nie finanziell aushalten müssen, sagt sie, die Tochter eines Schönheitschirurgen. Auch sei ihre Mutter "sehr vorsichtig, wen sie in mein Leben lässt". So habe sie keine Wegbegleiterinnen in der Branche, denn "es ist hart, du denkst, sie sind deine Freunde, und tatsächlich beißen sie dich."

Wie sie so erzählt wirkt sie entwaffnend vernünftig. Zwei mögliche Schlüsse drängen sich an diesem Nachmittag auf: Entweder hat die Filmerei Chloë Moretz tatsächlich zu einer professionellen Kinderarbeiterin gemacht, die klug die Fehler ihrer Vorgängerinnen analysiert und zu vermeiden sucht, die sich altersuntypisch auf den Rat ihrer Mutter verlässt, und die beim Rebellieren einfach einen Schritt weiter ist: Nichts provoziert in Zeiten der Provokation stärker als Bravheit. Oder aber sie täuscht das alles nur vor. Dann wäre sie tatsächlich ein noch bessere Schauspielerin als sie es in ihren Filmen schon ist.

Dass ausgerechnet so viele Disney-Stars aus ihrer heilen Welt ausbrechen wollten und in der echten abdrehten - etwa Lindsay Lohan, Britney Spears und zuletzt Miley Cyrus -, das sei doch nachvollziehbar, sagt sie. Sie hingegen fühle sich eher zu dunklen Projekten hingezogen, "weil ich privat so eine glückliche Person bin".

Die dunklen Projekte führen zur zweiten Frage, die nach der Gewalt im Kino. Wie kann man im Akkord Filme drehen, die Gleichaltrige nicht einmal anschauen dürfen? Wie kann man produzieren, wovor andere Kinder geschützt werden sollen? Chloë Moretz nickt verständnisvoll ob der allgemeinen Sorge, bevor sie beruhigt: Sie habe sehr früh gewusst, was Fiktion sei und was Realität, "viele Jugendliche kennen diesen Unterschied nicht, das ist ein gesellschaftliches Problem". Sie könne eine schlimme Szene drehen und danach sei sie sofort wieder sie selbst. "Wir suchen meine Drehbücher gemeinsam aus", sagt sie. "Manchmal sagt meine Mom: ,Das ist nichts für dich, noch nicht. Weder psychisch noch körperlich.'" Sie vertraue da ihrer Mutter und ihrem Bruder, die sie "Produktionspartner" nennt.

Man hätte die beiden gerne befragt, aber sie sind in der Hotelsuite genauso unsichtbar wie in den Filmen. So ist jeweils nur die Tochter greifbar, die von der Aufmerksamkeit für ihre brutalen Rollen profitiert, selbst aber zu jung ist, um die moralische Verantwortung dafür zu übernehmen. Diese Methode eines Familienunternehmens mag man zynisch nennen. Erfolgreich ist sie auf jeden Fall. Spätestens seit dem Jahr 2010, als "Kick-Ass" erschien.

In dem Film fasst ein unscheinbarer Junge den Beschluss, ein Superheld namens Kick-Ass zu werden. Dieses kindische Bedürfnis führt zu erwachsener Gewalt, die der Protagonist nur überlebt, weil ihm eine Nachwuchskillerin namens Hit-Girl aushilft. Der legendäre Filmkritiker Roger Ebert schrieb damals: "Werde ich als hoffnungslos spießig gelten, wenn ich ,Kick-Ass' moralisch verwerflich finde, und wird es den Anschein haben, dass ich das Wesentliche nicht begriffen habe?" Dieses Wesentliche, das ist die mit tanzbarer Musik untermalte Gewalt im Film. Fans verteidigten diese Ästhetik als cartoonhaften Spaß, sie sei dem Kontext, also der Comic-Vorlage, geschuldet. Ebert hingegen schrieb, die Kamera zeige das "tödliches Gemetzel eines elf Jahre alten Mädchen, bevor ein erwachsener Mann sie auf brutale Weise halb tot schlägt. Überall Blut." Da solle ihm einer was von Kontext erzählen, schrieb er, und: "Man kann über ihre Rolle sagen, was man will, aber Chloë Grace Moretz hat Ausstrahlung und Anziehungskraft."

Das junge Küken erteilt dem alten Hasen eine Lektion

Diesmal hat sich sogar Jim Carrey, 51, der im zweiten Teil eine Rolle übernommen hat, von dem Film distanziert. Angesicht des Massakers an der Sandy Hook Schule, bei dem ein junger Mann im Dezember 20 Kinder und acht Erwachsene erschossen hat, könne er den Film nicht mehr bewerben. "Ich akzeptiere das", sagt Moretz über den Sinneswandel ihres Kollegen, aber: "Ich kann nur für meinen Teil sprechen: Ich lese das Drehbuch so oft vor Drehstart, dass ich am Ende weiß, wie der Film aussehen wird. Und dieser Film ist genau das geworden, was das Drehbuch versprach. Ich habe also kein Problem damit." Punkt. Das junge Küken erteilt dem alten Hasen eine Lektion in Professionalität.

Wobei: So jung ist sie ja gar nicht mehr. Vor ein paar Jahren hatte die junge Extremschauspielerin noch bei Kritikern wie bei Zuschauern einen emotionalen Bonus - nichts ist schwerer erträglich als ein Kind in der Opferrolle, nichts ist unheimlicher als ein Kind in der Täterrolle. Die Kinderfiguren hinter sich gelassen gibt sie als aufreizendes und schlagkräftiges Fräulein nun eine Art Lolita Riot. Künftig wird sie nur noch erwachsene Rollen spielen können und müssen.

Was steht also an? Stolz wie lässig zählt sie auf: ein Film mit Keira Knightley, einer mit Charlize Theron, einer mit Kristen Stewart und einer mit Denzel Washington sowie die Hauptrolle in der Literaturverfilmung "If I Stay". Nimmt man das Rezept ihrer Work-Life-Balance ernst - Glück im Privaten, Verstörendes auf der Leinwand -, scheint es Chloë Moretz dann doch einigermaßen gut zu gehen: Im Dezember kommt Stephen Kings "Carrie" in die Kinos. Sie spielt das Mädchen mit den telekinetischen Kräften. So viel sei verraten: Es hat in der Filmgeschichte schon süßere Girls gegeben.

© SZ vom 17.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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