Tanz-Theater:Interessiert sich in Berlin jemand für Kultur?

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"Dido & Aeneas" von Sasha Waltz. (Foto: Bernd Uhlig)

Manchen Tänzern in Berlin steht das Wasser längst nicht mehr nur bis zum Hals: Die "Creative City" vernachlässigt den Tanz, hält ihn kurz und lässt störrisch fast alle Fragen unbeantwortet.

Von Dorion Weickmann

Nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann wird Berlin einen Nachfolger für seinen Generalmusikdirektor Daniel Barenboim suchen müssen. Ist es denkbar, den Neuen auf der Grundlage eines einzigen Dirigats und einer Handvoll CDs zu inthronisieren? Wohl kaum. Aber gerade so haben der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit und sein Staatssekretär André Schmitz den künftigen Chef des Staatsballetts, Nacho Duato, gekürt: ein "Dornröschen" gesehen, ein paar DVDs gesichtet - und schwupps lag der Vertrag auf dem Tisch. Dabei geht es nicht um wenig: Bis 2019 soll der zuletzt mäßig kreative Spanier die 88 Tänzer anführen, pro Jahr stellt der Berliner Haushalt dafür 7,4 Millionen Euro Subventionen bereit. Das ist der mit Abstand dickste Tanzbrocken im Etat. Schon deshalb ist die lax gehandhabte Spitzen-Personalie ein Unding.

Zumal Duato seinem derzeitigen Arbeitgeber, dem Sankt Petersburger Mikhailovsky-Theater, als Haus-Choreograf verbunden bleiben wird, wie er selbst unisono mit der dortigen Presseabteilung beteuert.

Verdient das Staatsballett einen Teilzeit-Coach? Gibt es niemanden, der diesen Spagat unterbindet? Klaus Wowereit tut es jedenfalls nicht. Doch die Frage, warum dieser sich den Kultursenatoren-Posten ans Bein gebunden hat, ohne dafür genug Zeit, Engagement, Expertise zu haben, stellt sich angesichts dieser Ballett-Besetzung mit Macht. Brisant wird das Ganze, wenn der Blick ans andere Ende der hauptstädtischen Tanz-Skala wandert, zu den Freien und ihrer Frontfrau Sasha Waltz.

Die nämlich, seit 1993 in Berlin ansässig, stößt mit ihrer Kompanie seit Jahren an die gläserne Decke. Längst steht die Marke "Sasha Waltz & Guests" für ein fliegendes Musiktheater, das seine Tanz- und Opern-Inszenierungen mit potenten Partnern wie der Pariser Oper verwirklicht, die dafür Endprobentermine, Bühne und Darsteller beisteuern. Der gesamte Vorlauf wird in Berlin produziert, mit einem Stab von gut 30 Tänzern und Mitarbeitern.

Wo soll Geld herkommen?

Diese Struktur, die Berlin mit knapp einer Million und der Bund über den Hauptstadtkulturfonds mit 875 000 Euro alimentiert, platzt aus allen Nähten. Mehrfach hat Waltz um Aufstockung der Mittel gebeten, erst brav, dann forsch, zuletzt hat sie erbost mit Abwanderung gedroht. Was für die Hauptstadt einen erheblichen Imageschaden bedeuten würde. Mag ihre Ästhetik auch nicht jedermanns Sache sein, so ist Waltz nach dem Tod von Pina Bausch doch die einzige deutsche Choreografin mit internationalem Renommee.

Daheim plagen sie freilich die gleichen Engpässe wie viele der schätzungsweise zweihundert freien Gruppen: Wo soll Geld herkommen? Und wo lassen sich üppiger dimensionierte Werke spielen?

Von den 391 Millionen Euro, die Berlin 2013 in die Kultur investiert, werden 229 für die Bühnenkünste ausgegeben, in die freie Tanzszene fließen davon gut zwei Prozent. Selbst wenn die Zahlungen für das Staatsballett und zwei weitere Tanzspielstätten dazu gezählt werden, bleibt die Quote unter 8 Prozent. Kein Ruhmesblatt für einen Standort, der mit bollemäßig stolz geschwellter Behördenbrust den Slogan "Creative City" im Internet plakatiert, zugleich aber nicht kapiert, dass gerade der Tanz mit seinen Performance-Ablegern die Kunst wie kaum eine andere Disziplin beflügelt und für interkulturelle Brückenschläge taugt. Deshalb muss die Politik das Fördersystem nachhaltiger profilieren und finanziell aufpolstern. Das freilich ist nur die erste Hausaufgabe.

Die zweite zirkuliert immer mal wieder, um binnen kurzem unerledigt in irgendeiner Ablage zu verschwinden: Wo und wie lassen sich große Tanzformate präsentieren? Auch Sasha Waltz hadert mit diesem Problem. Einige ihrer opulenteren Arbeiten, etwa "Passion" (2010), haben die Berliner bislang nicht zu Gesicht bekommen - obwohl ihr Steuergeld drin steckt. Sich mit der Opernstiftung ins Benehmen zu setzen und solche Stücke in einem der drei Musiktheater zu platzieren, ist für Waltz denkbar.

"Runder Tisch Tanz"

Angesichts der auch schon knapp bemessenen Aufführungs-Slots fürs Staatsballett gleicht das allerdings einem Vabanquespiel. Auf mittlere Sicht braucht es für Waltz, für ihre Kollegen und für das Publikum eine geradlinige Lösung, mit der sich überdies eine weitere Baustelle schließen ließe. Für die Haute Couture des zeitgenössischen Tanzes ist die Hauptstadt nämlich seit langem zweite Wahl. Die interessantesten Uraufführungen finden viel zu spät, wenn überhaupt, einen Weg an die Spree.

Berlin braucht also, was Düsseldorf, London, Paris und Stockholm längst besitzen: ein unabhängiges Haus allein für den Tanz, ein Schaufenster für Gastspiele und die besten vor Ort produzierten Events. An geeigneten Immobilien mangelt es nicht, ein schlauer Programm-Mix könnte für die nötige Mischkalkulation sorgen. Die Opposition will dem Regierenden diesbezüglich Beine machen. Sabine Bangert von den Grünen hat einen "Runden Tisch Tanz" einberufen, um die leidigen Fragen frontal anzugehen - mit allen Beteiligten, also auch mit Sasha Waltz.

Was umso dringlicher ist, als eine andere deutsche Tanzhauptstadt gerade in die Knie geht. Schon 2009 hat Köln die Tanz-Sparte begraben, nun drohen die Stadtväter, das Gastspiel-Budget einzustampfen und den Ruf der Stadt als Tanzmetropole endgültig zu ruinieren. Ein Etikett, das Berlin erst noch erringen muss. Aber wohl erringen kann.

© SZ vom 03.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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