"Siddharta" im Kino:Liebe. Wichtiger als Nirwana

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Indien als Sehnsuchtsland: "Siddharta", die gleichnamige Kult-Verfilmung der Erzählung von Hermann Hesse, kommt zum 50. Todestag des Schriftstellers wieder in die Kinos. Der Film von 1972 könnte als Vorlage für etliche weitere Hesse-Filme dienen. Mit diesen ist in Kürze zu rechnen.

Rainer Gansera

"Und dies ist nun eine Lehre, über welche du lachen wirst: die Liebe, o Govinda, scheint mir von allem die Hauptsache zu sein . . ." Auf seinem verschlungenen Lebensweg, dem innersten Geheimnis des Daseins auf der Spur, hat Brahmanensohn Siddhartha viele Pfade beschritten und wieder verlassen: Askese, Nirwana-Suche, Hingabe an sinnlichen Genuss und materiellen Wohlstand.

Simi Garewal als Kamala in Conrad Rooks' Film Siddharta: Warum verlässt Siddharta die wunderschöne Kurtisane, um nach spiritueller Reinheit zu suchen? (Foto: movienet)

Nun lebt er hochbetagt als Fährmann, Lehrling des Flusses, der ihm "das Zuhören, das Lauschen mit stillem Herzen, mit wartender, geöffneter Seele" beibringt. Er formuliert seine Liebeslehre mit einem Unterton der Wehmut und Trauer, ohne ein Pathos finaler Erleuchtung, beinahe wie das Bekenntnis eines großen Versäumnisses. Die Liebe will gelebt werden, daran hat er es fehlen lassen.

Diesen Grundakkord der Schwermut, der Hermann Hesses "indische Dichtung" charakterisiert, trifft Conrad Rooks mit schöner Selbstverständlichkeit bei seiner Siddhartha-Verfilmung, die 1972 entstand und nun, zu Hesses 50. Todestag, in Wiederaufführung im Kino zu sehen ist.

Von Anfang an ist dem ruhig dahinfließenden Bilderreigen ein Sehnen nach Liebeswirklichkeit eingewoben. Warum soll das Nirwana wichtiger sein als Freundschaft? Warum verlässt Siddharta die wunderschöne Kurtisane Kamala, um nach spiritueller Reinheit zu suchen?

Man kann dem Film manches vorhalten: zu viele Sonnenuntergänge und Folklore-Idylle, zu viel Gegenlicht und Schattenriss bei der Figurenzeichnung - aber die Erzählung gewinnt immer wieder meditative Intensität und tastet sich respektvoll an den melancholischen Sinnsucher-Ernst der Vorlage heran.

Geheimtipp bei den New Yorker Beatniks

Hermann Hesse publizierte Siddharta, Henry Millers Lieblingsbuch, 1922. Die englische Übersetzung erschien Anfang der Fünfziger, wurde im Milieu New Yorker Beatniks, in dem sich Conrad Rooks (1934-2011) damals tummelte, als Geheimtipp gehandelt: "Indien wurde damals zum Sehnsuchtsland, wie es Griechenland für frühere Generationen gewesen war." (Rossellini)

Hartnäckig verfolgte Rooks sein Projekt, erhielt Drehgenehmigung in der Pilgerstadt Rishikesh, engagierte bekannte indische Schauspieler, gewann Ingmar Bergmans Kameramann Sven Nykvist, widerstand der Versuchung, die Story dramaturgisch aufzuquirlen, und als es in Zeiten des Vietnam-Kriegs endlich an die Dreharbeiten ging, war Hesses Buch Manual der Hippie-Generation und Welt-Bestseller.

Warum gibt es bislang nur vier Hesse-Verfilmungen? Weil sich des Autors mosaikartig aus Reflexionen und Meditationen gefügte Erzählweise den gängigen Mustern des Erzählkinos verweigert. Gewiss ist Rooks' Siddharta nicht die ultimative, aber doch eine faszinierend-eigenwillige Art der Annäherung an Hesses philosophisch-allegorisches Erzählen.

Möglicherweise wird man sie einmal als vorbildlich betrachten, denn wir müssen uns auf eine Schwemme von Hesse-Verfilmungen (teils Kino, teils TV) gefasst machen. Hesse-Nachlassverwalter haben die Rechte an neun Büchern veräußert: "Peter Camenzind", "Unterm Rad", von "Klingsors letzter Sommer" bis "Demian" und "Narziss und Goldmund".

Siddharta, USA/Indien 1972 - Regie: Conrad Rooks. Buch: Conrad Rooks, nach Hermann Hesses Erzählung. Kamera: Sven Nykvist. Musik, Gesang: Hemant Kumar. Mit: Shashi Kapoor, Simi Garewal, Romesh Sharma, Pincho Kapoor. Movienet, 89 Min

© SZ vom 14.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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