Serie "Hass auf Kunst":Was soll der Hype um "Herr der Ringe"?

Herr der Ringe, Hass auf Kunst

Dieser Blick sagt alles - Hobbit Frodo greift mit wehleidigem Blick nach diesem vermaledeiten Ring.

(Foto: dpa; Collage Jessy Asmus)

Fans gucken sogar die "extended versions" der ohnehin epischen Filme. Dabei wäre die Reise zur Ringvernichtung in fünf Minuten erledigt gewesen - wenn Frodo nachgedacht hätte, statt zu leiden.

Von Charlotte Haunhorst

Zwei Menschen gehen durch die Landschaft. Der eine ist ein unsäglich selbstmitleidiger Jammerlappen, der andere eher ein freundlicher Optimist. Der Optimist muss den Jammerlappen ständig ermutigen, dieser zeigt sich immer wieder beratungsresistent. Was wie eine Inhaltsangabe von Samuel L. Becketts absurdem Theaterstück "Warten auf Godot" klingt, ist in Wirklichkeit der Haupthandlungsstrang von J. R. R. Tolkiens Fantasyroman "Der Herr der Ringe". Klingt öde? Ist es auch. Und deshalb völlig zu Unrecht von Fans in aller Welt gefeiert.

Denn was Tolkien in der Taschenbuchausgabe bereits auf 1300 Seiten unnötig auswalzte, meinte der Neuseeländer Peter Jackson Anfang dieses Jahrtausends auch noch verfilmen zu müssen. Das Ergebnis ist noch unerträglicher als das Buch. Dort kann man die schlimmste Ödnis auf dem Weg der Hobbits Frodo (= Jammerlappen, muss einen Ring vernichten) und Sam (= Optimist, wäre der sehr viel bessere Ringvernichter) ja zumindest noch überblättern - also quasi das komplette vierte Buch "Die zwei Türme - Der Ring geht nach Osten" auslassen.

Serie "Hass auf Kunst"

Was soll der Hype? Diesen Satz würde man gern am Mittagstisch, abends beim Bier oder auf einer Party rufen, wenn es mal wieder um den Künstler schlechthin geht. Egal ob er wie Georg Baselitz aus der Hochkultur kommt, oder wie Quentin Tarantino aus der Populärkultur. Um den einen, dessen Werk - Gemälde, Bücher, Alben, Filme - alle bejubeln. Alle, außer man selbst. Aber sich outen und der vorherrschenden Meinung entgegenstellen? Bloß nicht! Denn wer Kunst kritisiert, dem wird schnell vorgeworfen, dass er sie nur nicht verstehe. Banause, halt. Wir wagen uns trotzdem vor: SZ-Autoren setzen sich mit Kunst auseinander, die sie hassen.

Beim Film gibt es hingegen kein Entrinnen. Vor allem dann nicht, wenn man sich in einem Freundeskreis mit militanten "Herr der Ringe"-Fans wiederfindet. Die begnügen sich nämlich nicht mit der bereits neun Stunden (!) dauernden Normalverfilmung dieses ganzen wehleidigen Quatsches - nein, sie wollen unbedingt die extended version sehen. Bedeutet: Zwölf Stunden des eigenen Lebens sind verloren. Unwiderruflich. Vorspulen? Den Film in schnellerer Geschwindigkeit schauen? Für "Herr der Ringe"-Fans unmöglich. Die drücken sogar Pause wenn jemand pinkeln muss, dabei passiert in diesen fünf Minuten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gar nichts.

Hätte irgendjemand in diesem Buch mal fünf Sekunden nachgedacht

Und damit man als Zuschauer auch wirklich realisiert, was für eine immense Zeitverschwendung diese vergangenen zwölf Stunden waren, wird es einem am Ende noch einmal supersymbolisch vorgeführt. Da steigen Frodo und Sam nämlich auf einen wie von Zauberhand herbeigerufenen Adler, der sie innerhalb kürzester Zeit vom Ort der Ringvernichtung in Sicherheit fliegt. Fünf Minuten dauert das. Das hätte in die andere Richtung sicher auch geklappt. Das ganze Latschen durch die Landschaft, das stundenlange Geweine und Wehklagen - alles umsonst. Sie hätten einfach fliegen können, hätte irgendjemand in diesem Buch mal fünf Sekunden nachgedacht.

Nach dem Film möchte man seinen Kopf eigentlich nur noch gegen eine Wand knallen. Aber Vorsicht: Wegrennen ist die sehr viel bessere Alternative. Denn spätestens mit den letzten Klängen des "Herr der Ringe"-Filmmarathons wird irgendein militanter Mitschauer vorschlagen, jetzt noch "Der kleine Hobbit" zu schauen. Unschuldige 400 Seiten hat dieses Buch. Jackson hat es als Dreiteiler verfilmt, neun Stunden dauern die extended versions insgesamt. Das ist wirklich nur noch etwas für Masochisten.

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