Serie: Bühne der Wortspieler:Gefühle im Gewühle

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Das Substanz ist die Mutter aller Münchner Slams

Von Antje Weber

Erst kommt das Yippie, dann kommt das Yeah. Alle, die zum ersten Mal beim Substanz Poetry Slam sind, lässt Moderator Ko Bylanzky ein "vorfreudiges Yippie" rufen. Alle, die schon mal da waren, sollen ein "wissendes, checkerhaftes Yeah" von sich geben. Das Yeah ist deutlich lauter.

Dabei fragt man sich, warum Menschen sich das öfters antun. Nur wahre Fans reihen sich alle vier Wochen sonntags selbst bei eisigen Temperaturen in die bereits berühmte Substanz-Schlange ein, die sich schier endlos vom Eingang in der Ruppertstraße bis ums Eck in die Lindwurmstraße windet. Um sich dann, wenn man es denn tief hinein in den düsteren Kneipen-Schlauch geschafft hat, in einem dicht und dichter werdenden Gedränge aus stehenden, sitzenden, schwitzend aneinanderklebenden Leibern zu behaupten und keimende Platzangst mit tiiiefem Einatmen letzter Sauerstoff-Reste niederzukämpfen.

Ja, wer hier hingeht, sollte möglichst jung und/oder belastbar sein. Auf 99 Prozent der Zuschauer trifft das zu; sie sind wild entschlossen, bei Pommes und Bier eine coole Poetry-Party zu erleben. Und die bekommen sie, wie seit Jahrzehnten schon: Der Substanz-Slam ist so etwas wie die Mutter aller Münchner Slams. 1994 holte Karl Bruckmaier die damals noch recht neue amerikanische Poetry-Mode nach München. Als er Ende 1995 aufhörte, übernahmen Ko Bylanzky und Rayl Patzak - und räumten erst einmal "Tisch und Stuhl von der Bühne", wie Bylanzky erzählt. In den inzwischen 21 Jahren, die der heute zwar nicht mehr deutschlandweit größte, aber doch wohl traditionsreichste Poetry Slam zählt, wurde hier stets nach festen Regeln geslammt: selbstgeschriebene Texte, eher großzügiges Zeitlimit, keinerlei Hilfsmittel wie Instrumente oder Kostüme. Sieger wird, wer den meisten Applaus bekommt.

Und so animiert Bylanzky die Menge von etwa 400 Zuhörern zu immer neuem "Applaus, Gejohle oder Geohrfeige". An diesem Abend im Februar werden neun fast ausschließlich junge Slammer beklatscht, denn passend zum 21. Geburtstag sind Gäste etwa gleichen Alters eingeladen. Sie wettern - wie der amtierende Bayerische Poetry-Meister Yannik Sellmann - mit Furor über den US-Präsidenten, kreisen jedoch auch häufig um den eigenen Bauchnabel, ums Zimmeraufräumen oder unerwiderte Gefühle. Das deckt sich mit den Interessen des Publikums, und so siegt nach zwei Vorrunden plus Finale der Bochumer Sven Hensel mit einem durchdringenden Schrei nach Liebe. Der Gewinner fährt mit einer Flasche Whisky nach Hause. Doch als Sieger dürfen sich hier nach drei Slam-Stunden irgendwie alle fühlen - Zeit für ein checkerhaftes "Yeah"!

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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