Scientology:Der Apostat von Hollywood

35 Jahre lang war Oscar-Gewinner Paul Haggis Mitglied bei Scientology. Im Sommer 2009 verließ er die Sekte, nun hat er in einem Artikel sein Schweigen gebrochen. In den USA gilt der Text als Sensation.

Andrian Kreye

Als der Drehbuchschreiber und Scientologe Paul Haggis gemeinsam mit Clint Eastwood vor ungefähr sechs Jahren die Dreharbeiten von Steven Spielbergs Krieg der Welten besuchte, hatte Hauptdarsteller Tom Cruise am Drehort ein Zelt errichten lassen, in dem die Church of Scientology Missionsarbeit betreiben konnte. Spielberg machte eine Bemerkung, dass er die meisten Scientologen sehr nett fände, worauf Paul Haggis witzelte, "die Bösen verstecken wir im Schrank". Das kam Tom Cruise zu Ohren, einer der Schlüsselfiguren der kalifornischen Science-Fiction-Sekte. Worauf Haggis vor einem Untersuchungsausschuss der Kirche Buße tun musste.

Regisseur Paul Haggis verlässt Scientology

"Die Bösen verstecken wir im Schrank" soll Paul Haggis einst über seine Sekte Scientology zu Steven Spielberg gesagt haben, als dieser die vielen netten Mitglieder lobte. Das kam Tom Cruise zu Ohren, worauf Haggis vor einem Untersuchungsausschuss der Kirche Buße tun musste.

(Foto: dpa)

Die Anekdote steht in dem Artikel "Der Apostat", den Lawrence Wright in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitschrift New Yorker veröffentlicht hat. In den USA, wo die Church of Scientology keineswegs so vehement verteufelt wird, wie in Deutschland, gilt der Text als Sensation. Bestätigt er doch viel von dem, was man über die geheimniskrämerische Glaubensgemeinschaft aus Hollywood nur ahnte. In der epischen Länge von rund 80 regulären Buchseiten verwebt Wright die Geschichte des zweifach Oscar-prämierten Drehbuchschreibers und Regisseurs (Million Dollar Baby, L.A. Crash), der 35 Jahre lang Mitglied bei Scientology war, bevor er die Organisation im Sommer 2009 verließ.

Grund seines Ausstieges war, dass Scientologen während der Wahlen von 2008 öffentlich den schwulenfeindlichen Gesetzesentwurf "Proposition 8" unterstützt hatten, der in Kalifornien die Legalisierung der Schwulenehe revidierte. Haggis ist Vater zweier homosexueller Töchter. Zunächst sprach er öffentlich kaum über seinen Ausstieg. Doch in Lawrence Wright erkannte er einen Geschichtenerzähler auf Augenhöhe.

Wright hat mit Der Tod wird euch finden das wahrscheinlich beste Buch über 9/11 geschrieben und ist einer der wichtigsten Vertreter des sogenannten "New New Journalism". Damit bezeichnet man in den USA Journalisten wie Wright, William Langewiesche oder Jon Krakauer, die mit monatelang recherchierten, fast buchlangen Texten gegen die Infokultur der Medienbranche angetreten sind. "Der Apostat" ist nun nicht nur eine der am besten recherchierten und erzählten Geschichten über die Church of Scientology. Weil Paul Haggis die zweithöchste Erkenntnisstufe eines Thetan VII erreicht hatte und als Hollywoodgröße Teil eines umhegten inneren Zirkels der Sekte war, bekommt man ungleich tiefere Einblicke in die inneren Verhältnisse als aus allen bisherigen Berichte von Aussteigern.

Da finden sich Geschichten über die ruppigen Methoden der Kirche. Tom Cruise taucht als verwöhnter Potentat der Kirche auf. Ein Kirchenfunktionär musste angeblich für den Wochenlohn von 50 Dollar ein Motorrad nach den Vorgaben des Stars vernickeln und lackieren. Und Tommy Davis, der Leiter des Celebrity Centers in Hollywood, soll schwere Buße geleistet haben, als er den Star verärgerte. Er wurde ins Erziehungslager der Scientology in Florida geschickt, wo er bis frühmorgens Mülltonnen mit der Zahnbürste putzen musste.

Bei aller Ausführlichkeit ist Wrights Text mit Dementi der Kirche und vieler Beteiligter gespickt. Fünf Dokumentaristen bearbeiteten den Text, die der Kirche 971 Nachfragen schickten und sich acht Stunden lang mit Vertretern und Anwälten der Scientology trafen. Trotz dieses juristischen Widerstands ist einer der erstaunlichsten Schlüsseltexte über Scientology entstanden. Haggis weiß, auf was er sich einließ. "Diese Leute haben ein langes Gedächtnis", sagt er zum Schluss. "Ich wette, in zwei Jahren liest man über meine Rolle in irgendeinem Skandal, der nichts mit der Kirche zu tun hat."

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