Schwulenfeindliches Jamaica:No man, no cry

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Ich bin dagegen: Sänger Gentleman nimmt seine umstrittenen Äußerungen zu Homophobie in Jamaica zurück - Anlass zur Zufriedenheit ist das allerdings nicht.

J.-C. Rabe

In zwei großen Zeitungsinterviews anlässlich seines neuen Albums Diversity (Island/Universal) vertrat der deutsche Reggae-Star Gentleman vor wenigen Tagen, eine bemerkenswerte kulturrelativistische Position. Dass ihm dadurch Ärger entstehen würde, schien ihm bewusst zu sein. Dass es so weit kommen würde, dass er schon am Mittwoch energisch widerrufen müsste - damit dürfte er nicht gerechnet haben.

Der Rastamann und sein Glauben

Eine Überraschung war die Aufregung dennoch nicht. Denn Gentlemans Einlassungen führen in die Mitte einer Diskussion, die, wenn sie durch das Brennglas Pop betrachtet wird, noch prekärer erscheint, als sie ohnehin schon ist. Denn der Pop sagt: "We Are The World". Gentleman aber sagte: "Ich kann nicht in Jamaika die Homophobie geißeln. Was der Rastamann nicht mit seinem Glauben vereinbaren möchte, sollte man akzeptieren."

Gentleman ist ein Kölner Pastorensohn und einer der wenigen Ausländer, deren Reggae-Interpretationen auch in Jamaika hohes Ansehen genießt. Seine Einlassungen wiederum bezogen sich auf den jamaikanischen Reggae-Superstar Sizzla, der wegen seiner mitunter kompromisslos homophoben Texte besonders in Europa höchst umstrittenen ist und der während seiner Deutschland-Tour Ende des vergangenen Jahres nach Protesten von Schwulenverbänden in Berlin nicht auftreten durfte. Die Ansichten Sizzlas und anderer Reggae- und Dancehall-Künstler wie Beenie Man, Capleton, Bounty Killer oder Buju Banton teilt Gentlemen ausdrücklich nicht. In seinen Interviews mit der taz und der Welt sagte er vielmehr, dass er sich "ganz klar von jeder Homophobie" distanziere und "manche Lyrics völlig unverantwortlich" finde. Jeder schwulenfeindliche Übergriff im Inselstaat sei einer zu viel. Die Tatsache, dass in Jamaika Homosexualität noch heute mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft wird, verurteilte er scharf.

Reggae-Sänger sind keine Taliban-Kämpfer

Unzufrieden ist der deutsche Sänger, der als 18-Jähriger zum ersten Mal Jamaika besuchte und inzwischen zwei bis drei Monate im Jahr dort lebt, jedoch auch mit manchen hierzulande gängigen Interpretationen notorischer Reggae-Phrasen: "Einen Reggae-Text einfach eins zu eins ins Deutsche zu übersetzen, das funktioniert nicht." Die häufig gebrauchte Metapher "fire burn" etwa, die auch Bob Marley benutzt habe, sei keine Aufforderung dazu, Menschen anzuzünden. Es heiße nur so viel wie " Ich bin dagegen. Da wird eine fremde Symbolsprache missverstanden."

Die Debatte sei völlig aus dem Ruder gelaufen. Buttersäure-Anschläge auf Sizzla-Konzerte, wie Ende vergangenen November in Wuppertal geschehen, und europaweite Einreiseverbote, wie sie der Grünen-Abgeordnete Volker Beck erwirkte, gingen eindeutig zu weit und schadeten dem Genre im Ganzen. Reggae-Sänger seien keine Taliban-Kämpfer. Es fehle ein Bewusstsein dafür, dass man anderen Kulturen nicht einfach die eigenen Kultur verordnen könne: "Ich muss nicht in Vatikan City Kondome verteilen oder in Iran den Frauen die Tücher vom Kopf reißen." Homosexualität gelte in Jamaika als große Sünde: " God made Adam and Eve, not Adam and Steve, diesen Spruch hört man dort immer wieder."

Gentleman bedauert seine unsensible Ausdrucksweise

Der Politiker Volker Beck antwortete in der taz sofort mit der seltsam herrischen Autorität desjenigen, der längst keine Zweifel mehr daran hat, auf der einzig richtigen Seite zu stehen: "Menschenrechte, und dabei vor allem das Recht auf Leben und auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, sind universell und auch nicht verhandelbar." Schön wäre es, wenn das wirklich überall so wäre.

Gentleman bedauerte darauf, sich unsensibel ausgedrückt zu haben und kündigte einen Runden Tisch an, zu dem auch Beck und ein Vertreter des Lesben- und Schwulenverbands eingeladen werden sollen. So weit, so vernünftig. Vielleicht muss man aber zum Wohle der Debatte die Argumente und Überlegungen Gentlemans vor ihrem konzilianten Urheber in Schutz nehmen. Denn sie - und mit ihnen der sogenannte Kulturrelativismus - sind nicht so töricht, wie es manche gerne hätten. Und Gentleman redet auch nicht der Verharmlosung der üblen Verbrechen das Wort, die in Jamaika immer wieder an Homosexuellen verübt werden. Die sind nicht entschuldbar.

Lesen Sie auf Seite zwei was es mit der Idee einer Versöhnung von Relativismus und Universalismus auf sich hat.

Viel mehr als die selbstgewissen Bekenner der westlichen Werte wissen Gentleman und der liberale Relativismus davon, wie wenig selbstverständlich viele unserer grundvernünftigen Überzeugungen oft sind, auch bei uns. Man denke nur - auch Gentleman vergaß nicht, daran zu erinnern - an die kategorisch ablehnende Haltung des Vatikans bei diesem Thema, obwohl europäische Katholiken keine Rastafari am anderen Ende der Welt sind. Gerade hat ein Vertrauter des Papstes, Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, sogar versucht, Pädophilie auf Homosexualität zurückzuführen.

Desillusionierte Liberale wie der britische Philosoph John Gray vertreten den provokanten Standpunkt, unsere Moral sei letztlich eine Konvention, auf die man sich nur in "normalen Zeiten" verlassen könne. Im vorliegenden Fall interessanter und bei weitem nicht so fatalistisch dürfte die Position seines Lehrers sein, des Philosophen und großen britischen Pluralisten Isaiah Berlin.

In den neunziger Jahren hatte er die kühne Idee einer Versöhnung von Relativismus und Universalismus entfaltet. Tief überzeugt davon, dass man die Unterschiede zwischen Menschen und Gesellschaften nicht übertreiben dürfe, war Isaiah Berlin Realist genug, um zu wissen, dass es möglich ist, der These zu glauben, dass es so etwas wie "Untermenschen" gebe. Denn, "wenn man sich durch jemanden, dem man vertraut, von ihr überzeugen lässt, gelangt man in eine geistige Verfassung, in der man es - in gewissem Sinne ganz rational - plötzlich für notwendig hält, Juden auszurotten".

Der Druck aus Europa sei nicht zu unterschätzen

"Denkende Menschen" als verrückt oder krank zu bezeichnen erschien Berlin deshalb "zu oberflächlich, zu einfach, zu leichtfertig". Menschenverachtung müsse nicht Ausfluss von Wahnsinn sein. Wenn man den Schaden, den Fanatiker anrichten könnten, vermeiden wolle, müsse man dagegen versuchen, "die intellektuellen und nicht bloß die psychologischen Wurzeln ihrer Anschauungen zu begreifen; man muss versuchen, ihnen zu beweisen, dass sie im Irrtum sind". Erst wenn das nicht gelinge, müsse man vielleicht in den Krieg ziehen: "Aber der Überzeugungsversuch muss immer unternommen werden." Der Marxismus, so Berlin, und manche religiöse Bewegungen zögen zu rasch und zu leichtfertig in den Krieg. Die beiden Kardinaltugenden der Menschenrechtspolitik müssen dementsprechend Sensibilität und Geduld sein.

Selbst der so selbstgewisse Druck aus Europa hat in diesem Sinn eine Wirkung, die man auch nicht geringschätzen sollte. Gentleman berichtet davon, dass es viele Texte der Stars heute längst nicht mehr so radikal seien wie noch in den neunziger Jahren. Es gebe ein Bewusstsein dafür, dass man sich mit Schwulenhass am Ende nur Auftrittsverbote einhandle. Auch das jamaikanischen Radio spiele mittlerweile keine Songs mit homophoben Texten mehr.

Anlass für allzu heftige Zufriedenheit sollte das allerdings auch nicht sein. Denn Gentleman macht auch keinen Hehl daraus, was sich nicht geändert habe: die Überzeugungen.

Den easy way out scheint nicht zu geben. Er wird in Jamaika so wenig möglich sein, wie er bei uns möglich war. Unzucht zwischen Männern war in Deutschland laut Paragraph 175 StGB noch bis 1969 verboten gewesen.

© SZ vom 16.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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