Schweizer Reaktion auf Gurlitts Nachlass:"Mehr Ärger als Freude"

Kunstmuseum Bern

Das Kunstmuseum Bern sieht sich vor ungeahnten Herausforderungen.

(Foto: Getty Images)

Die Schweiz zaudert: Soll der Direktor des Kunstmuseums Bern wirklich eine Sammlung annehmen, die einst ein Kunsthändler der Nazizeit zusammengetragen hat? In der Frage um Gurlitts Erbe geht es für das Museum nicht nur um eine moralische Bürde.

Von Hans Leyendecker und Catrin Lorch

Trifft einen die Nachricht, dass man gerade eine Sammlung wertvoller Kunst geerbt hat, wie "ein Blitzschlag"? Wie am Donnerstag bekannt wurde, hat der Sammler Cornelius Gurlitt das Kunstmuseum Bern als Alleinerben eingesetzt - und das löst in Bern nicht nur Freude aus: Stiftungsrat und Direktion gaben in einer Pressemitteilung zu bedenken, das Vermächtnis bürde ihnen "eine Fülle schwierigster Fragen auf, insbesondere rechtlicher und ethischer Natur". Sie wiesen darauf hin, man habe ein halbes Jahr Zeit zu entscheiden, ob man die Kunstwerke aus der Sammlung annehme. Denn zusammengetragen hatte sie Cornelius' Vater Hildebrand Gurlitt, und der hatte zum innersten Zirkel von Kunsthändlern gehört, die - auch im Auftrag von Adolf Hitler - den Kunstraub der Nationalsozialisten organisierten und von ihm profitierten.

Weswegen die Berner Zeitung schreibt, das "unverhoffte Erbe" sei "Würde wie Bürde", der Kommentator der Basler Zeitung nannte es ein "Danaergeschenk, das mehr Ärger als Freude bereitet". Warum die Zurückhaltung? Kann sich das exquisite, kleine Haus in Bern nicht glücklich schätzen, so günstig an Werke zu kommen, die in der internationalen Presse monatelang als "Millliardenschatz" bezeichnet wurden?

Zunächst ist es - wie häufig nach dem Tod eines Erbonkels - wohl so, dass die scheinbar unermesslichen Werte gar nicht so wertvoll sind: Matthias Frehner vom Kunstmuseum wird derzeit gerade die Listen durchgehen, die den gesamten Kunstschatz erfassen. Also nicht nur die Bestände, welche die Augsburger Staatsanwaltschaft aus der Münchner Wohnung von Cornelius Gurlitt abtransportieren ließ, sondern auch die Werke, die aus seinem Salzburger Haus in ein Depot in Österreich verlagert wurden.

Was dieses Konvolut genau umfasst, blieb bislang ein Geheimnis. Der Süddeutschen Zeitung liegt eine Auflistung mit Gemälden und Zeichnungen aus Salzburg vor, die in ihrem Wert den in Deutschland eingelagerten Bestand offenbar deutlich übertreffen (siehe Kasten). Dennoch ist wohl eher von einem Gesamtwert in einer niedrigen dreistelligen Millionenhöhe auszugehen. Einige der wertvollsten Bilder könnten außerdem an Nachfahren drangsalierter jüdischer Sammler restituiert werden.

Tatsächlich muss der Museumsdirektor wohl seinem Stiftungsrat und politischen Entscheidern eine Analyse vorlegen, ob sich sein Haus in der Lage sieht, die Sammlung zu sichern, zu erfassen, zu pflegen - und gegebenenfalls auch die Restitutionsforschung langfristig zu gewährleisten. Bern hat aber auch das nicht unbeträchtliche Vermögen von Gurlitt geerbt. Meist gründen Museen in dieser Situation Stiftungen - und es ist möglich, dass eine Satzung auch entgegen dem Wunsch von Cornelius Gurlitt Verkäufe zulassen könnte.

Gurlitt hat sich den Richtigen ausgesucht

Das Museum kennt finanzielle Krisen: Matthias Frehner musste bei seinem Amtsantritt im Jahr 2002 Abteilungen zusammenlegen sowie den Leiter des hauseigenen Kinos und Kuratoren entlassen.

Die problematische Sammlung muss aber nicht nur aufgearbeitet und von Restauratoren betreut werden, sondern ist auch in moralischer Hinsicht ein schweres Erbe. Noch in frischer Erinnerung ist in der Schweizer Kulturszene das Scheitern von Christian Flick, der im Jahr 2001 seiner Sammlung in Zürich ein Museum bauen wollte. Weil der Flick-Erbe sich nie am Zwangsarbeiterfonds der deutschen Wirtschaft beteiligt hatte, scheiterte das Vorhaben. Dennoch: Cornelius Gurlitt hätte sich keinen geeigneteren Museumsmann als Matthias Frehner aussuchen können. Unter dessen zahlreichen Veröffentlichungen zur Problematik des Nazi-Kunsthandels findet sich auch ein Aufsatz mit dem Titel "Kunst aus Nazi-Deutschland in der Schweiz" , in dem er unter anderem die "Selbstberaubung der deutschen Museen" und die Verwertung von als "entartet" eingestufter Kunst in Luzern untersucht. Frehner fordert auch für die Schweiz Transparenz. Museen sollten etwa in den Ausstellungssälen über problematische Erwerbungen aufklären.

Da es dem Direktor jedoch in den vergangenen Jahren in zwei Fällen nicht gelang, profilierte Sammlungen moderner Kunst an sein Haus zu binden, ist nicht davon auszugehen, dass er das Erbe ausschlägt: Das Museum könnte dann zudem modellhaft die Recherchen fortsetzen, die in Deutschland womöglich mit dem Tod des Sammlers ein Ende finden.

Doch wird Deutschland die prominenten Werke auch ausreisen lassen? Das bayerische Kunstministerium kündigte an, die Sammlung auf ihre Bedeutung für das deutsche Kulturgut zu prüfen. Es "besteht Handlungsbedarf", erklärte am Donnerstag ein Sprecher des Ministeriums und kündigte die Einsetzung einer Kommission an, die prüfen soll, ob einzelne Bilder in das "Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes" kommen könnten. In dem Fall dürften sie nur noch mit Genehmigung ausgeführt werden.

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