Schriftstellerin Cornelia Funke:"Der Verlag wollte kein offenes Ende"

Autorin Cornelia Funke

In Cornelia Funkes Büchern kommt es auch mal vor, dass Kinder rauchen - je nachdem, in welchem Land es veröffentlicht wird.

(Foto: dpa)

Als ihr amerikanischer Verlag Änderungen am neuen Teil der "Spiegelwelt"-Reihe forderte, blieb Cornelia Funke hart - und gründete lieber einen eigenen Verlag.

Von Klara Fröhlich

Die Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke wurde mit Büchern wie der Tintenwelt-Saga, die "Wilden Hühner" und der Spiegelwelt-Reihe ("Reckless") zu einer der international erfolgreichsten deutschen Schriftsteller. Ihre Bücher verkauften sich weltweit über 20 Millionen Mal; einige ihrer Werke wurden in 37 Sprachen übersetzt. Vor kurzem trennte sich die Autorin von ihrem amerikanischen Verleger "Little, Brown", der in den USA und Großbritannien die Spiegelwelt-Reihe herausbrachte. Der Verlag hatte Änderungen zu ihrem Buch "Das Goldene Garn" gefordert.

SZ: Frau Funke, was wollte Ihr amerikanischer Verlag denn an Ihrem Buch ändern?

Cornelia Funke: Es gab eine ganze Reihe von Änderungswünschen. Zum einen wollte der Verlag kein offenes Ende. Ich sollte den Schluss zu einem Epilog umformulieren und mit einer glücklichen Szene abschließen. Ausschlaggebend war aber vor allem die Einstiegszene, die eine Geburt darstellt. Damit wollten weder der englische noch der amerikanische Verlag das Buch beginnen.

Wie haben Sie auf diese Forderung reagiert?

Ich kam gerade von einer erfolgreichen Lesereise aus Deutschland zurück, hier ist das Buch schon veröffentlicht, und las die E-Mail meines amerikanischen Verlages. Als ich die Liste mit den vorgeschlagenen Änderungen sah, wusste ich, dass wir uns nicht einig werden. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit meiner deutschen Lektorin und lektoriere selbst sehr streng, also ist das veröffentlichte Buch natürlich die einzig mögliche Fassung. Das erste Kapitel ist dafür konzipiert, das Buch zu eröffnen. Ich komponiere ein Buch wie eine Melodie. Da kann ich nicht einfach etwas schieben. Auch wenn ich weiß, dass deutsche Verlage das bisweilen bei Lizenztexten ebenfalls tun. Eine für mich inakzeptable Praxis.

Mit welcher Begründung wollte der Verlag, dass Sie die Stelle ändern?

Es gab keine offizielle Begründung. Ich vermute, dass mein amerikanischer Verlag, das Buch für eine jüngere Zielgruppe vermarkten wollte. Ich habe es für Leser ab vierzehn Jahren geschrieben. Die englischsprachigen Verlage würden gern auch meine jüngeren Leser erreichen und an sie verkaufen. Meine Bücher werden in Amerika sehr viel an Schulen gelesen und es hätte wahrscheinlich Probleme dabei gegeben, das Buch in dieser Form an Schulen und Bibliotheken heranzutragen.

Könnte es auch an unterschiedlichen Mentalitäten und Lesegewohnheiten in Deutschland und den USA oder Großbritannien liegen?

In diesem konkreten Fall war meiner Meinung nach nicht der kulturelle Unterschied das Problem. Es gibt genug englische Bücher für Teenager, die sich nicht an einer Geburtsszene stoßen. Natürlich kommen ab und zu bei den Lektoraten nationale Eigenarten ans Licht. Die Amerikaner haben in "Herr der Diebe" einen der Kinderhelden nicht rauchen lassen. Die Franzosen haben gesagt: Natürlich raucht der bei uns!

Spielt es für Sie eine Rolle, ob sie für ein amerikanisches, chinesisches oder deutsches Publikum schreiben?

Natürlich ist mein Erzählen davon geprägt, dass ich in aller Welt vorlese und mit aller Welt spreche. Ich habe für Kinder in Indien, Neuseeland, Schweden, Mexiko und in vielen anderen Ländern gelesen. All diese Kinder sitzen neben mir, wenn ich schreibe. Ich glaube das merkt man meinen Geschichten auch an. Aber ich denke nicht bewusst über ihre Unterschiedlichkeiten nach, wenn ich schreibe.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie mit Verlagen in den USA oder Großbritannien Konflikte dieser Art austragen.

Es gab öfter das Problem, dass englischsprachige Verlage meine Bücher lektorieren wollten, obwohl sie von einem deutschen Verlag schon ausführlich mit mir überarbeitet worden waren. Daran sind die englischsprachigen Verlage einfach gewöhnt. Ab und an war es möglich, ihre Anmerkungen beim deutschen Lektorat zu berücksichtigen, besonders wenn die Bücher zeitgleich erschienen sind. Diesmal waren die Forderungen aber einfach unerfüllbar.

"Ich habe nie an mehr literarischen Projekten gearbeitet als jetzt."

Haben Sie deshalb "Breathing Books" gegründet?

Ich habe Breathing Books aus diesem Grund jetzt und so schnell gegründet. Der Plan besteht schon länger. Aber ich hatte meinen Spiegelwelt-Fans in England und den USA versprochen, dass das Buch im Herbst dieses Jahres erscheint und ich halte meine Versprechen gern.

Sie wollen nicht nur klassisch Bücher verlegen, sondern verstärkt digital arbeiten.

Ja, wir wollen ungewöhnliche Bücher machen. Für den dritten Teil von "Drachenreiter" entwickeln wir gerade eine Geschichte, die ähnlich mit dem digitalen Format experimentiert wie meine MirrorWorld-App für die Spiegelwelt-Reihe. Wir werden die Geschichte in einem Graphic Novel Format mit leichten Animationen erzählen, aber sie sowohl als E-Version als auch auf Papier herausbringen. Zusätzlich kommt der zweite Teil von "Drachenreiter" als ganz klassisch erzähltes Buch heraus.

Also sehen Sie die Zukunft eher im Bild und nicht im Text?

Das sind einfach meine zwei Seiten: die Geschichtenerzählerin und die Illustratorin. Ich habe nie an mehr literarischen Projekten gearbeitet als zurzeit. Ich glaube, auch, weil ich mich inzwischen von meinen Illustrationen beim Schreiben inspirieren lasse. Das ist eine ganz wunderbare Mischung! Ich teile meine Arbeitszeit ein. Die Hälfte schreibe ich, die andere zeichne ich. Wenn wir uns die Romane des 19. Jahrhunderts ansehen, seien es die von Charles Dickens oder Victor Hugo, so sind die üppig illustriert. Das war eine andere Art, Bücher herauszubringen, die leider sehr selten geworden ist.

Dahin wollen Sie wieder kommen?

Genau. Und ich möchte noch etwas anderes versuchen. Heute haben wir alle unsere Lieblingsserien. Bei Büchern muss man dagegen drei Jahre warten, bis der nächste Teil erscheint. Die Leser seufzen zu recht über die langen Wartezeiten. Deshalb will ich versuchen, in kürzeren Abständen zu veröffentlichen, also vielleicht keinen 300-Seiten-Roman vorlegen, sondern in drei Schritten hundert Seiten herausbringen. Mal sehen ...

Sie orientieren sich am Erfolgskonzept von Serien.

Ich orientiere mich an mir selbst. Ich liebe es, wenn etwas weitergeht. Das ist ja das Fantastische am ausführlichen Geschichtenerzählen: dass wir Charaktere genauer kennenlernen und mit ihnen auf die Reise gehen. Ein gutes Beispiel ist "Game of Thrones". Als ich vor 20 Jahren die Bücher las, habe ich gehofft, dass keiner einen Film daraus macht, weil die Geschichte dafür dramatisch hätte verkürzt werden müssen. Dass es nun episch in Form einer Serie erzählt wird, kommt dem Erzählen des 19. Jahrhunderts nahe.

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