Pop:Ist die Gitarre am Ende?

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Gitarren auf der Musikmesse in Frankfurt am Main: In Deutschland geht es der Branche noch gut. (Foto: dpa)

Ein halbes Jahrhundert lang beherrschte sie mit zarten Zupftönen und infernalischem Brüllen die populäre Musik. Doch jetzt schreiben die großen Gitarrenfirmen rote Zahlen.

Von Thomas Steinfeld

In Nashville, im amerikanischen Bundesstaat Tennessee, wurde gerade eine elektrische Gitarre verkauft, die nie einem prominenten Musiker gehört hat und trotzdem sehr teuer ist: eine Gibson Les Paul aus dem Jahr 1958 in der Farbe "Cherry Sunburst", also einer Lackierung, die von einem hellen Gelb zu einem dunklen Rot changiert. Mehr als 600 000 Dollar bezahlte ein Gitarrengeschäft dafür. Ein paar Tage später erschien in der Washington Post ein Artikel des Kulturjournalisten Geoff Edgers, der seitdem nicht nur die Musikbranche, sondern auch zahllose Hobbymusiker beschäftigt: "Der langsame, geheime Tod der elektrischen Gitarre" lautet der Titel der Reportage. Beide Ereignisse gehören zusammen.

Mehr als ein halbes Jahrhundert war die Gitarre das beherrschende Instrument der populären Musik, und sie war es vor allem in ihrer elektrischen Gestalt: leicht zu tragen, als Rhythmus- wie als Melodie-Instrument einsetzbar, mit einem breiten Klangregister, das von zarten Zupftönen bis zu infernalischem Brüllen reicht. Und man muss nur den Lautstärkeregler aufdrehen, um Hallen zum Beben zu bringen. So ausgerüstet, brachte die Gitarre die Identifikationsgestalt der populären Musik schlechthin hervor: den heroischen Virtuosen vor einer Wand von Lautsprechern, wahlweise Gott (Eric Clapton) oder Teufel (Slash), der Millionen Nachahmer fand. Manche von ihnen wurden Luftgitarristen, viele kauften Gitarren.

In den USA ist der Verkauf von elektrischen Gitarren von etwa 1,5 Millionen Stück pro Jahr (2007) auf etwas mehr als eine Million Exemplare gesunken. Das "Guitar Center" in Los Angeles, der größte amerikanische Musikalienhändler, hat 1,6 Milliarden Dollar Schulden. Die Firma Gibson schreibt rote Zahlen, nachdem sie im Jahr 2014 dem niederländischen Konzern Philips die Sparte Unterhaltungselektronik abgekauft hatte, um zum Lifestyle-Unternehmen zu werden: zu einem Unternehmen wie Nike, wie der Geschäftsführer sagt. Dem schärfsten Konkurrenten Fender geht es nicht viel besser. Der Gitarrenheld, die verkaufsfördernde Maßnahme schlechthin, ist ihnen abhanden gekommen. Im Jahr 2010 wurden, zum ersten Mal seit Jahrzehnten, in den USA wieder mehr akustische als elektrische Gitarren verkauft. So wie es kaum neue Gitarrenbands mehr gibt, entstehen auch keine neuen Gitarrengötter mehr.

Jüngere Menschen hören andere Musik. Ein Großteil stammt aus dem Computer. Unterdessen drehen die alten Gitarrengötter, so sie noch leben, weiter ihre Runden, zum Vergnügen eines Publikums, das mit ihnen altert. Als sie in gut bezahlte Berufe vorstießen, kauften sie sich die Gitarren, die sie sich in ihrer Jugend nicht hatten leisten können. Jetzt verkleinern sie ihre Sammlungen, wenn sie diese nicht gar auflösen. "Zweifellos ist bei Gitarren eine Sättigung des Markts zu erwarten", sagt der Geschäftsführer des Musikhauses Thomann im oberfränkischen Burgebrach, des größten Musikalienhändlers der Welt. Für Deutschland könne er aber noch keinen Niedergang erkennen. Vielleicht ändern sich die Vorlieben auch wieder. "Gitarrenbands sind jetzt tot", bekamen die Beatles gesagt, nachdem sie im Januar 1962 vergeblich bei der Plattenfirma Decca vorgespielt hatten.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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