Oper:"Hänsel und Gretel" verliefen sich ... in Berlin

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Hänsel und Gretel in Maskottchen-Kostümen. (Foto: Monika Rittershaus)

Achim Freyer bespielt die Bühne der frisch renovierten Berliner Staatsoper Unter den Linden mit Engelbert Humperdincks zauberhafter Märchen-Oper.

Von Julia Spinola

Hänsel und Gretel stehen in Engelbert Humperdincks gleichnamiger Oper an der Rampe und wackeln mit ihren Schwellköpfen: zwei knallbunte Teletubbies, die sich im graffitibekritzelten Wald verirrt haben. Die Augen ihrer Masken bewegen sie mithilfe zweier Stäbe, im Takt hin und her rollend. Dazu tippeln sie auf dem Laufsteg rund um den Orchestergraben ein paar sehr vorsichtige Tanzschritte hin, um von ihren riesigen Köpfen nicht in die Tiefe gezogen zu werden. Die Bühne der frisch renovierten Berliner Staatsoper Unter den Linden ist mit seitlichen schwarzen Vorhängen und einer Hinterwand stark verkleinert worden. Alles spielt nah am Publikum auf der Vorderbühne. Der 83-jährige Achim Freyer tritt wie üblich als Regisseur, Kostüm- und Bühnenbildner an, weiß, dass es auf vielen Plätzen im Saal Sichtbehinderungen gibt. Einige Plätze werden sogar als reine Hörplätze verkauft. Das ist eine der Tücken des rekonstruierten Richard-Paulick-Baus. Eine andere stellt die komplett neu eingebaute Bühnentechnik dar, die noch nicht voll genutzt werden kann. Auch deshalb hat Freyer die Hinterbühne in seiner "Hänsel und Gretel"-Inszenierung gemieden.

Freyer ist ein begnadeter Bildererfinder und Bühnenverzauberer. An Einfällen mangelt es ihm nicht. Allerlei typisches Freyer-Getier kriecht, hüpft oder tänzelt durch die Märchenwaldnacht: ein boxender Hase im rosa Tutu, verrückte Gockel und Hennen, eine große Katze, die sich in der Mitte zerteilen kann, ein Hungerkoch mit kreisrunden Löchern in Bauch und Gesicht. Die Knusperhexe hat etwas von einer großen Papp-Reklame für Genussmittel. Sie trägt eine Kaffeetasse als Kopf, Bonbons als Augen und einen obszön herabbaumelnden fleischigen Zeigefinger als Nase. Ihre langkralligen Gierhände verselbständigen sich auf der Bühne zu wandelnden Käfigen. Die Lebkuchenkinder liegen am Ende wie verkohlte Leichen am Boden, bevor sie sich aus ihren schwarzen Overalls pellen und zu buntem Leben wiedererwachen.

Trotzdem wirkt die Inszenierung unfertig und bewegt sich unentschlossen zwischen Klamauk und Geisterbahn. Für kleine Kinder ist sie zu gruselig, für Erwachsene und große Kinder nicht raffiniert genug. Dies auch, weil die Illusionsmaschinerie von Freyer immer wieder bewusst durchbrochen wird, das Theater als Theater kenntlich gemacht wird. Marina Prudenskaya und Roman Trekel als Eltern, Corinna Scheurle und Sarah Aristidou als Tau- und Sandmännchen - das ist fabelhaft besetzt. Katrin Wundsam und Elsa Dreisig wetteifern als Hänsel und Gretel unter ihren Masken mit lupenreinem vokalen Glanz stimmlich um jene Bühnenpräsenz, die ihnen mimisch verwehrt ist. In der eigentlich für eine Frau komponierten Rolle der Hexe bemüht sich der Tenor Stephan Rügamer mit wenig charakteristischem Sprechgesang um Effekt.

Und Sebastian Weigle kann die Staatskapelle Berlin an diesem Abend kaum zu jenem klanglich differenzierten Spiel beseelen, das die Tiefe und den Märchenglanz der zwischen Wagner und Mahler, Kinderlied und Choral changierenden Partitur ausmacht. Trocken und flach klingt dieser Humperdinck in der Mitte des Parketts.

© SZ vom 13.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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