Oper:Ha. Ha. Haa.

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Jaqcues Offenbachs "Orphée aux enfers" von 1858 war ursprünglich eine hochpolitische, beißend witzige Satire. Jammerschade, dass die neue Inszenierung am Stuttgarter Opernhaus von Armin Petras so lau und lahm wirkt.

Von Reinhard J. Brembeck

Der Witz hat einen weitverzweigten Bekanntenkreis. Der umfasst Anarchisten, Spötter und Provokateure, leider aber auch Schenkelklatschhumoristen, Witz-komm-raus-Helauianer und Biedermänner. Immer dann, wenn ein einst guter Witz in die Jahre kommt, wird er von der ersten in die zweite Gruppe weitergereicht. Dann wird er schal, fad und peinlich. Diesem Schicksal entkommt kein Witz und keiner seiner Fabrikanten. Nicht einmal Jacques Offenbach. Spotteten dessen Stücke einst die französische High Society in den Untergang, so blieb danach nicht sehr viel mehr übrig davon als gut gelaunte Musik, die zuletzt im harmlosen Operettenbiedertum erstickte.

Vielleicht stimmt Dirigent Sylvain Cambreling auch deshalb im Stuttgarter Opernhaus sein Publikum schon in den ersten Takten auf Trauer ein, um dann immer noch einen Trauerflor auf "Orphée aux enfers" zu legen. Des Lyravirtuosen Orpheus Besuch in der Hölle wird zudem auf Deutsch gegeben, in der mäßig aufgepeppten Uraltübersetzung von Ludwig Kalisch. Das aber vergrößert nur noch die sowieso schon riesige Kluft zu Offenbachs einstigem Gesellschaftsumsturzwitz.

Zumal auch Cambreling und sein Regisseur Armin Petras keineswegs dazu aufgelegt sind, das Stück je überdrehen zu lassen. Cambreling feiert die subtile Instrumentationskunst Offenbachs, vor allem die Holzbläser erblühen in mürber Melancholie. Petras bemüht Historisches, zeigt Uraltfilme von Arbeiterfrauen, vom französischen Siebziger-Krieg. Auf der Bühne allerdings lässt er seine Darsteller in einem ahistorischen Faschingsungefähr agieren. Dinah Ehm bietet dazu Skelett-Kostüme, Chapeau Claque, Frack, Blümchenlandpartiekleid, Strohhut, Billiggöttertunika. Das ist nett und harmlos. Und dazwischen torkelt Max Simonischek als Aussteiger- und Säufergott Bacchus, schlürft Gift wie Koks und schnüffelt Klebstoff. Zuletzt kriegt er - und nicht Jupiter, Orpheus oder Pluto - die Sänger-Ex-Gattin Eurydike als Groupie angedreht. Das ist ein bösartiger Hinweis darauf, dass der der Misogynie ergebene Orpheus nach Ende des Stücks dann von Bacchus-Sympathisantinnen zerfetzt wird.

Josefin Feilers Eurydike verfolgt als einzige in dieser Götter- und Menschenmischpoke ihr Lebensziel ohne Heimtücke. Sie will weg vom Gatten und die Sozialaufstiegsleiter soweit hinauf wie sie ihre zunehmend sicherer und leichter gesetzten Koloraturen tragen. Die öffentliche Meinung, die Stine Marie Fischer mit blasierter Bosheit gibt, ist ihr egal. Im Gegensatz zu allen anderen, die zwar ebenfalls ständig neuen Amouren erliegen, aber dabei immer den schönen Schein vom heilen Heim aufrecht erhalten. Da macht Michael Ebbeckes altersseniler Jupiter ebenso wenig die Ausnahme wie André Morschs Salonrevoluzzer Pluto, Catriona Smiths Sexualheuchlerin Diana oder Daniel Kluges Opportunist Orpheus.

Nur der herrlich melancholische Hans Styx des André Jung, den seine ständige Lethe-Säuferei offenbar für die allgemeine Heuchelei der Welt unempfänglich macht, ist in genauso aufrichtig direkt wie Euridyke. Bei André Jung gehen zudem die Trauer, die ganz tief in dieser Musik steckt, mit dem grellen Slapstick, den ihr Offenbach stets als Korrektiv verordnet, beglückend zusammen. Was nur beweist, dass man diesem Stück allein mit musikalischen Mitteln nie und nimmer gerecht werden kann. Ansonsten aber regiert die Albernheit.

Zwar lässt sich in Jupiter unschwer Donald Trump erkennen, so wie Jacques Offenbach seinerzeit den Kaiser Napoléon III. im Sinn hatte. Aber weiter und konkreter bohrt die Regie nicht nach, sie gibt sich mit dem herrlichen Unsinn der Partitur zufrieden und hält dabei auch noch den Spaß auf Sparflamme. So verpasst dieser Abend sämtliche Möglichkeiten, die das Stück einem geradezu aufdrängt, um vibrierend und lebendig ins Heute geholt zu werden.

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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