Oper:Der Traum vom Terror

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Zwei Mädchen ziehen in den Dschihad. Aus dieser Geschichte machen die Komponistin Sarah Nemtsov und der Dramatiker Dirk Laucke in Halle einen bewegenden Opernabend.

Von Julia Spinola

Was treibt zwei nette deutsche Mädels aus dem sachsen-anhaltischen Sangerhausen dazu, nach Syrien in den Dschihad zu ziehen und einen brutalen Krieg zu führen, der eigentlich nicht der ihre ist? Was muss im Kopf einer beliebten und erfolgreichen Schülerin aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft passieren, damit sie ihr behütetes Leben aufgibt, um sich mit einem archaischen Fanatismus zu identifizieren, und davon zu träumen, anderen Menschen den Kopf abzuschlagen? Florian Lutz, der neue Intendant der Oper Halle, hat die Komponistin Sarah Nemtsov und den Hallenser Dramatiker Dirk Laucke damit beauftragt, gemeinsam eine Oper über die Radikalisierungs-Geschichte einer Fünfzehn- und einer Achtzehnjährigen zu schreiben.

Das Publikum sitzt auf der Bühne. Der Zuschauerraum wird zur Wüste - zur Kampfzone

Das Stück, das den Titel "Sacrifice" trägt, basiert auf einer realen Geschichte, die 2014 wochenlang durch die Zeitungen ging. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Raum. Der Bühnenbildner Sebastian Hannak hat seine Drehbühnenkonstruktion "Heterotopia"genannt, um auf das Konzept der "anderen Räume" des französischen Philosophen Michel Foucault anzuspielen. In Sarah Nemtsovs Oper wird die rotierende Scheibe akustisch wie visuell zum Ausgangspunkt. Das Publikum sitzt auf der Bühne und wird von Szene zu Szene der zweistündigen Oper unablässig durch den Raum bewegt. Das Orchester sitzt auf dem abgedeckten Orchestergraben, aber die Musik überrascht den Zuschauer durch elektronische Zuspielungen aus allen anderen Richtungen des Raums.

Dazu gibt es mindestens vier Schauplätze. Hinter dem Orchester wandeln sich im Saal die mit weißen Tüchern abgedeckten Sitzreihen und der Rang zu Orten projizierter Sehn- und Fernsüchte: Hier träumen Jana und Henny, wie die beiden Sangerhausener Mädchen in der Oper heißen, mit Handys in der Hand vom Nahen Osten. Vor einer Alpenlandschaft, in der das schwarz-gelbe Logo der rechtsradikalen identitären Bewegung wie eine Sonne aufgeht, ziehen jedoch auch die völkisch gesonnenen selbsternannten Retter des Abendlandes vorbei. Während Jana und Henny auf der Seitenbühne in einem alten Ford nach Syrien aufbrechen, taumelt der traumatisierte Syrienflüchtling Azuz im Rang durch die Sitzreihen wie durch die Wogen eines Meeres. Seine Erlebnisse haben ihm die Sprache geraubt, er stammelt nur Silben.

Die Bilder, die der Regisseur Florian Lutz im Bühnenbild von Sebastian Hannak findet, sind unmissverständlich, wenn vielleicht auch eine Spur zu plakativ. Im ersten Stock geht eine Sex- und Drogen-Party mit Hawaii-Kostümen ab, im Apartment nebenan fläzt sich ein Yuppie-Pärchen vor dem Flachbildschirm. Im Erdgeschoss hat die politische Situation eine Ehe gespalten. Hier bügelt die biedere Hausfrau verbissen eine Deutschlandfahne, während ihr Mann einer Gruppe hungriger Flüchtlinge die Türen öffnet.

Von Dirk Lauckes Libretto ist in den Gesangspartien der Oper nicht sehr viel übrig geblieben. So singen die beiden Mädchen kunstvoll gesetzte Duette. Wobei die Zeilen eines afghanischen Gedichts, das den Taliban zugeschrieben wird, über die gesamte Oper gedehnt werden. Es beginnt mit "May I be sacrificed" und schwört die Menschen auf die Schönheit des Heimatlandes ein, für die sie sich opfern sollen. "Das ist kein Land, das ist die Wildnis", lautet eine andere, wiederkehrende Textzeile, die ihre Bedeutung wechselt, je nachdem, wer sie gerade singt.

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Die Sänger fühlen sich fabelhaft in die vokalen Obsessionen ein, die Nemtsov ihren Figuren auf den Leib komponiert hat: Tehila Goldstein und Marie Friederike Schöder als Henny und Jana, Anke Berndt als Frau, Vladislav Solodyagin als Mann und Gerd Vogel als Azuz. Ein stummer Chor agiert als Flüchtlingsstrom. Man nimmt ihn vor allem im Hintergrund wahr, als unsichtbar aber geräuschintensiv von einem Schauplatz zum nächsten wandernde Masse, deren Atem verfremdet in der Musik widerhallt.

Die Musik wirkt wie die Bestandsaufnahme einer inneren Orientierungslosigkeit

Den Schrecken des Themas fängt Nemtsovs Musik nur gelegentlich in lautmalerischen Elementen ein. Vorherrschend ist eine filigrane Kunst nahtloser Übergänge, mit denen die Komponistin die unterschiedlichsten Texturen aneinanderbindet und auseinander hervorgehen lässt. Nemtsovs Musik gestaltet einen musikalischen Dauerstrom. Es mischen sich darin Zartes und Brutales, Bedrohliches und Verheißungsvolles, ohne dass ein Konflikt zwischen den verschiedenen Ausdrucksebenen ausgetragen würde.

Die musikalische Spannbreite reicht von mittelalterlichen Hoquetus-Techniken bis zur Rockmusik. Das Geschehen entwickelt sich eher mit einer epischen Breite, als dass es sich dramatisch zuspitzen würde. Und dazu wirkt die Musik wie die Bestandsaufnahme einer inneren Orientierungslosigkeit. Sie ergreift nicht Partei, sie trägt keine Konflikte aus und sie gibt, dies vor allem, auch keinerlei Antworten. Immer bleibt das Gefühl, es könne auch anders weitergehen.

Ob sich der psychische Prozess einer zunehmenden Fanatisierung bis hin zur Mordbereitschaft tatsächlich auf der Basis von Recherchen und Vorstellungskraft musikalisch nachzeichnen lässt, bleibt nach diesem Abend fraglich. Dennoch ist Sarah Nemtsov und Dirk Laucke ein bewegendes Werk gelungen, das einen eindringlichen Ausdruck findet für das reizüberflutete, tendenziell erinnerungslose Dauerrauschen der Gedanken in einer orientierungslosen Zeit.

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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