Oper:Auf der Brücke zum Paradies

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Robert Wilson inszeniert Arvo Pärts "Adam's Passion" als gemeinsames Projekt für Tallinn.

Von Michael Stallknecht

Nackt steht ein Mann auf der Bühne, den Lehmklumpen noch in der Hand: Adam, oder auch: der Mensch. "Adam's Passion", auf Estnisch "Aadama Passioon", heißt der Abend in einer Industriebrache in Tallinn direkt am Meer, wo einst Zaren, dann Sowjets U-Boote und Schiffe bauen ließen. Es lässt sich mit "Adams Leiden" übersetzen oder, sakraler, als Adamspassion begreifen. In Arvo Pärts Musik befindet sich der Mensch immer in doppelter Grundstellung: allein in der Welt oder allein mit Gott.

Achtzig Jahre alt wird Arvo Pärt im Herbst, das feiert man auch in seinem Heimatland. Er ist weltweit der meistgespielte lebende Klassik-Komponist. Das kann an unabgegoltenen spirituellen Sehnsüchten im materialistischen Zeitalter liegen oder an Pärts Liebe zu lang liegenden Dreiklängen und mittelalterlichen Formmodellen. Mit Sacro-Pop oder wahlloser Esoterik hat das nichts gemein, dafür ist die Musik zu genau und avantgardistisch durchkonstruiert, ohne Höreranbiederung. Einfachheit ist ein religiöses Ideal, nicht Eingängigkeit.

Pärt ist vor wenigen Jahren nach Estland zurückkehrt, er floh einst vor der sowjetischen Kulturbürokratie nach Berlin. Auf einer Halbinsel entsteht nun ein neues Arvo-Pärt-Zentrum als Archiv und Forschungsstelle. Rund um die Uraufführung treten wichtige Ensembles auf wie der "Hortus Musicus", mit dem Pärt zu Beginn historischer Aufführungspraxis vorbarocke Musik erkundete, oder wie "Vox Clamantis", das heute Pärts Musik mit Gregorianischem Choral mischt.

Dass Robert Wilson "Adam's Passion" inszeniert, ist mehr als stimmig. Eine wirkliche Oper aus Pärts Feder ist kaum vorstellbar, deren Gefühlswelten wären unter seinem metaphysischen Blick eine allzu subjektive Angelegenheit. Der Postdramatiker Wilson arbeitet vor allem mit Rhythmus und Bewegung, sucht ähnlich wie Pärt nach einer abstrakten Ordnung der Schönheit statt nach Ausdruck von Befindlichkeiten. Gefunkt hat es zwischen beiden bei einer Audienz von Papst Benedikt XVI. für Künstler, in der es ebenfalls um Schönheit ging. Für die erste gemeinsame Arbeit haben sie, neben der kleinen Neukomposition "Sequentia", drei Hauptwerke gewählt. Der Estnische Philharmonische Kammerchor singt "Adam's Lament" nach einem Text des russischen Mönches Siluan und das "Miserere" vom Ende der Achtzigerjahre. Rein instrumental kommt vom Kammerorchester Tallinn und den Violinisten Harry und Robert Traksmann noch "Tabula rasa" hinzu, mit dessen Einspielung Pärt auch im Westen erstmals bekannt wurde. Wilson erzählt keine Geschichte, wohl aber in Bildern so etwas wie "Adams Verbürgerlichung". Der nackte Mann findet einen Zweig, dann hoch am Himmel ein kleines Haus. Frauen kommen und gehen, darunter wohl auch Eva, dann Kinder, die Waffen tragen oder ins nun halbfertige Haus einziehen. Wie sich Pärt den vertonten religiösen Texten regelrecht unterwirft, sie mit seiner Musik gleichsam nur nachzeichnet und hörbar macht, statt sie zu interpretieren oder zu kommentieren, so sind Wilsons Bilder keine Symbole, sondern einfach da: Eine Rose ist eine Rose ist eine . . .

Dabei erweist sich die Musik zugleich als Wahrheitsdetektor, bei dem Wilson nicht immer gut abschneidet. Wo in der Musik bei aller Schönheitssehnsucht immer auch Schmerz mittönt, Musik eine Brücke baut zwischen Paradiesversprechen und Leid, wirken Wilsons Bilder ab und an nur konfektioniert, bleiben buchstäblich im Rahmen des braven Guckkastens, den er als sein eigener Bühnenbildner in den spektakulären Raum gestellt hat. Es fehlt nicht an Spiritualität, doch bleibt sie um das entscheidende Moment vager als die Pärts.

Am Ende geht es auf, weil Wilson sich vor Pärt verneigt, die Bilder noch ruhiger hält als gewohnt. Mit dieser Langsamkeit schafft er einen Raum für die Musik, die wesentlich aus der Stille kommt, sich nicht vordrängt, sondern in Kontemplation über ihre Texte verharrt. Obwohl Chor und Orchester hinter dem Publikum positioniert sind, übertrumpft die Musik die Bilder, erzeugen besonders Reinheit und Direktheit im Klang des Kammerchors eine hohe Dringlichkeit. Das kündet von der Kraft Pärt'scher Musik, und auch von langjähriger Vertrautheit des Dirigenten Tõnu Kaljuste mit ihr. Zum Geburtstag im September soll die Produktion auf DVD erscheinen und europaweit im Fernsehen ausgestrahlt werden.

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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