Oper:Asche futtern

Lesezeit: 3 min

Der routinierte Skandalregisseur Calixto Bieito inszeniert in Belgien Wagners "Tannhäuser" - und verzichtet diesmal auf erotische Orgien.

Von Michael Struck-Schloen

Sicher ist es für keinen Künstler schön, wenn ihm verärgerte Besucher nach der Vorstellung die Entmannung wünschen. Der katalanische Opernregisseur Calixto Bieito, der dem Publikum gern etwas zumutet, hat da einschlägige Erfahrungen gemacht. Und die Briefe, in denen Rache für die vermeintliche Ruinierung des schönen Genres Oper (und diesem widmet er sich vor allem) durch ein Theater der psychischen Grausamkeiten angedroht wird, dürften eine eigene Kiste füllen.

Andererseits setzt dieses Image auch Kommunikation mit dem Publikum, zu dem sich die Journalisten zählen, ‒ in Gang. Ja, was wird er diesmal wieder anstellen, der verrückte Kahlkopf in seinen eng sitzenden schwarzen Pullovern?, das fragte man sich auch vor seiner neuen Inszenierung von Wagners "Tannhäuser" an der Flämischen Oper in Gent. Dazu kamen ein paar wegwerfende Bemerkungen über Wagners Mythen und die genüssliche Erinnerung an Woody Allens Bonmot, dass er bei Wagner immer das Bedürfnis habe, in Polen einzumarschieren: Schon sind die Erwartungen hoch: Bestimmt gibt's wieder Gewalt- und Kopulationsszenen!

Weil aber für jeden Künstler die eigene Wiederholung schlimmer ist als alle Drohbriefe, sehen wir in der plüschigen Bonbonschachtel des Genter Opernhauses nun doch keine erotischen Orgien, wie sie Wagner für die Pariser Fassung am Beginn des ersten Aufzugs vorschwebte, sondern etwas ganz anderes, wahrhaft Magisches. Zu den heiligen Bläserklängen des Vorspiels erkennt man im Schummerlicht ein urwaldhaftes Unterholz. Langsam beginnt es im Wald zu rauschen, das Gestrüpp entwirrt sich, es schwingt und raschelt in der Choreografie des Bacchantinnen-Balletts, das uns Bieito optisch verweigert. Zusammen mit der Musik, die zum mächtigen Posaunenchoral anschwillt, entfaltet die Natur ihren Zauber auch auf die Frau, die sich von den über ihr hängenden Ästen berühren und befriedigen lässt: Venus.

So also führt Bieito die Liebesgöttin nicht als Herrin eines mittelalterlichen Edelbordells ein, das das Pariser Publikum einst auf die Palme brachte, sondern als Empfängerin und Spenderin des überwältigenden, unentfremdeten Eros. Über diese Deutung kann man mit Wagner-Experten sicher lange streiten. Doch Ausrine Stundyte, deren Sopran leider an Farben verloren und an Härten gewonnen hat, spielt diese Natur-Venus so hingebungsvoll, dass nicht sexueller Überdruss, sondern die pure Angst vor dem Weibe den Tannhäuser aus ihren Fängen und Schenkeln heraustreibt.

Das Konzept: Untergang einer Gesellschaft ohne Liebe

Burkhard Fritz ist ein heldenhafter, manchmal etwas monochromer, aber stets intelligent singender Tenor von überragender Kondition. Weniger heroisch ist hier seine Rolle: ein tumber, im besten Fall bauernschlauer Bursche in Arbeitshosen und Schlabberhemd über dem mächtigen Körper, der von seinen Sängerfreunden auf der Wartburg kräftig gepiesackt wird. Da entladen sich Männerrituale der gröberen Art, man pufft und knufft sich, beschmiert sich mit Kriegsfarbe, immer die gegenseitige Erniedrigung im Sinn. Denn Landgraf Hermann (Ante Jerkunica mit kernigem Bass) führt in der klinisch weißen Ruhmeshalle der Wartburg ein seelisches und körperliches Folterregiment, dem auch Elisabeth schon zum Opfer fiel.

Annette Dasch, der die Rolle stimmlich nicht ganz so abgerundet, präzise und tonschön gelang wie der Bayreuther Elsa, darf sich hier mit Wucht an die Rampe spielen. Der Elisabeth ist im Grunde die Persönlichkeit schon ausgetrieben worden, sie ist ein girrendes, tänzelndes Objekt, das sich Tannhäuser und den Rittern darbietet. Alle Gefühle sind grotesk verzerrt: mal ironisch wie beim gockelhaften "Sängerkrieg", mal ins Tragische gebogen wie bei der unseligen Liebe von Wolfram (intensiv: Daniel Schmutzhard) zu Elisabeth.

Der dritte Aufzug zeigt die Aussichtslosigkeit einer Gesellschaft ohne Liebe: Die faschistoide Ruhmeshalle ist zerstört, die Natur dringt durchs Mauerwerk und fordert ihr Recht, jetzt ein Recht der Zerstörung. Vielleicht ist dieser Schlussakt das Schwächste in Bieitos Konzept vom Untergang einer Gesellschaft, die Liebe und Sex missachtet. Dass die Welt in Asche liegt (Elisabeth futtert diese manisch in sich hinein) und der Mensch nur noch als Zombie, als Schatten seiner selbst kriecht und zuckt, ist als theaterübliche Antithese zum Erlösungsgedanken auch schon wieder fade.

Vladimir Jurowski, Musikchef der Flämischen Oper, dirigiert die Riesenpartitur (eine Mischung aus "Dresdner" und "Pariser" Fassung) mit der Seelenruhe dessen, der die Musik als Gegenpol zur szenischen Aufgeregtheit zelebriert. Da entstehen wunderbar naturhafte Klangbilder, fein gearbeitete Stimmungen und erschütternde Zusammenbrüche. Nur: einen dramatischen Drive, eine vibrierende, vorwärts treibende Energie strahlt dieser Genter "Tannhäuser" musikalisch nicht aus.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: