Theater:Wachablösung an der Themse

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Er verlässt ein wohlbestelltes Haus: Sir Nicholas Hytner hatte das National Theatre 2003 übernommen und von Erfolg zu Erfolg geführt. (Foto: imago/ Images)

Nach der überaus erfolgreichen Ära von Sir Nicholas Hytner fordert das Londoner National Theatre seinen neuen Leiter Rufus Norris heraus. Dem geht schon nach zwei Wochen die Finanzchefin von der Fahne.

Von Alexander Menden

Lange musste Nicholas Hytner nicht auf einen neuen Job warten. Im Februar, noch bevor Sir Nicholas den Direktorenposten am Royal National Theatre (NT) an seinen Nachfolger Rufus Norris übergeben hatte, verkündete der britische Schatzkanzler George Osborne, er habe sich Hytners Dienste für ein neues Großprojekt gesichert: Der 58jährige leitet nun eine Machbarkeitsstudie für den Bau jenes neuen Londoner Konzertsaals, den man Simon Rattle im Gegenzug für seine Rückkehr aus Berlin nach England in Aussicht gestellt hatte.

Dass Osborne gerade Hytner bei diesem sensiblen Vorhaben um Hilfe bat, wunderte niemanden: In seinen zwölf Jahren an der Spitze des englischen Nationaltheaters hat er sich den Ruf eines herausragenden Kulturmanagers erarbeitet, der Kunst, Publikum und harte Zahlen gleichermaßen im Blick zu halten vermag.

Als Hytner 2003 Trevor Nunn als Künstlerischer Leiter des Hauses an der Themse folgte, war das NT eine Bastion der weißen Londoner Mittelschicht - erfolgreich bei Bessergestellten, aber ohne großen Ehrgeiz, das England der Gegenwart wiederzuspiegeln. Hytner produzierte nun nicht nur Stücke alter Platzhirsche wie David Hare und Michael Frayn, sondern auch Werke schwarzer britischer Dramatiker wie Kwame Kwei-Armah und Roy Williams. Er überbrückte den Graben zwischen institutionalisiertem und unabhängigem Theater, indem er mit freien Gruppen wie Complicité, Improbable und Punkchdrunk zusammenarbeitete. Einige der populärsten Produktionen waren Multimedia-Ereignisse wie Simon Stephens' Literaturdramatisierung "The Curious Incident of the Dog in the Night-Time" oder das Puppentheater-Crossover "War Horse".

Hytners Regiearbeit stand in der britischen Tradition unterhaltsamer Textdienlichkeit

Hytner war als Regisseur nie ein Radikaler. Die Produktionen, bei denen er selbst Regie führte, standen in der britischen Tradition unterhaltsamer Textdienlichkeit und waren meist Erfolge: Seine Inszenierung von Alan Bennetts "History Boys" läuft noch immer im West End; "Phèdre" mit Helen Mirren war monumentales Star-Theater. Als Lieblingsregisseur seines Freundes Tom Stoppard wählte er als ordentliche, aber nicht weltbewegende Abschiedsinszenierung dessen neues Stück "The Hard Problem". Mit dem "NT Live" Programm sorgte Hytner für die Ausstrahlung ausverkaufter Produktionen in die Kinos der britischen Provinz und eröffnete damit zugleich eine lukrative zusätzliche Einnahmequelle. Mittels Reduktion der Ticketpreise, gegenfinanziert durch einen Sponsoren-Deal, schafften er und sein kongenialer Finanzchef Nick Starr zudem eine volle Auslastung des Hauses in den Sommermonaten, in denen die Publikumszahlen sonst um bis zu 40 Prozent zu schrumpfen pflegten. Zugleich war er in einem zunehmend subventionsfeindlichen politischen Klima ein unermüdlicher Kämpfer für die staatliche Förderung der Künste.

Kurz, mit Nicholas Hytners Abgang ist eine Ära zu Ende gegangen, die künstlerisch wie wirtschaftlich Maßstäbe gesetzt hat. Dass es nicht leicht sein würde, in diese Fußstapfen zu treten, war Rufus Norris klar, als er Anfang April die Zügel an der Southbank in die Hand nahm. Dass er aber so schnell in unruhige Gewässer geraten würde, wie es dann geschah, das war dann doch nicht abzusehen.

Schon nach zwei Wochen unter seiner Leitung gab es den ersten Paukenschlag: Tessa Ross, die als Finanzchefin im vergangenen November Nick Starrs Posten übernommen hatte, erklärte ihren Rücktritt. Schwer zu sagen, was in so kurzer Zeit schiefgelaufen war. Das Theater bestreitet, es habe einen persönlichen Bruch zwischen Norris und der früheren Filmproduzentin Ross gegeben. Ein guter Start sieht jedenfalls anders aus.

Dennoch sind die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des NT-Erfolgsrezepts auch unter dem neuen künstlerischen Leiter blendend. Norris übernimmt ein Haus mit grundsoliden Finanzen, dessen Bausubstanz gerade für umgerechnet 95 Millionen Euro grundsaniert wurde. Programmatisch wirkt ebenfalls alles solide. Eine Neubearbeitung des mittelalterlichen "Jedermann"-Stoffes von Carol Ann Duffy mit Chiwetel Ejiofor hat wohlwollende Kritiken bekommen, Patrick Marbers Fußballdrama "The Red Lion", ist nach mehr als zehnjähriger Pause eine triumphale Rückkehr des Dramatikers ans Theater.

Auch die gedeihliche Zusammenarbeit mit den anderen großen Kultureinrichtungen am Themse-Südufer - der Hayward Gallery, der Royal Festival Hall, dem British Film Institute -, die unter Hytner richtig Fahrt aufgenommen hatte, wird unter Norris sicherlich fortgesetzt werden. Es wird spannend sein, zu sehen, ob es ihm gelingt, sich persönlich als ebenso charmant, umtriebig und dominant zu erweisen wie sein Vorgänger.

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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