Reality-TV:Gegen diesen Trend ist Big Brother harmlos

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Eine Überwachungskamera filmt den Bahnhof an der Eberswalder Straße in Berlin. (Foto: dpa)

Die Protagonisten der Reality-Show wissen, dass sie gefilmt wurden. In China boomen Livestreams von Überwachungskameras - ohne, dass die Gefilmten etwas davon mitbekommen.

Von Michael Moorstedt

Vor ein paar Tagen, bekam man zu Ohren, startete die neue Staffel von Big Brother. Das ist im Jahr 2017 freilich nur noch aus einem einzigen Grund überhaupt bemerkenswert. Denn das Format ist wohl diejenige Mediendystopie, die so schnell wie noch keine andere von der Realität überholt worden ist. Von menschlichen Zoos und Privatsphäre-Erosion und menschenverachtenden Medien war damals in den Leitartikeln die Rede.

Alles falsch, heutzutage übernimmt der Instagram-Youtube-Twitter-Facebook-Nutzer die maximale Zurschaustellung selbst. Und kein Ende ist in Sicht. Wie das Wall Street Journal nun berichtet, werde in China das Anschauen von Überwachungskamera-Livestreams zu einer neuen Art von Reality-TV.

Das klingt zunächst einmal bekannt. Internetseiten wie insecam oder opentopia sammeln - mit oder ohne Wissen von deren Betreibern - schon seit längerer Zeit die Übertragungen von Webcams und machen sie online verfügbar. Auch gibt es immer wieder gerade unter Teenagern gehypte Streaming-Apps, mit denen die jungen Leute dann live aus ihrem Leben senden. Die gehen jedoch zumeist eben so schnell wieder ein, wie sie auftauchen. Es fehlt bei den Monologen aus dem Kinderzimmer wohl vor allem an nachhaltigen Inhalten.

Livestreams aus Turnhallen, Supermärkten und Schulen

Doch weil es sich um China handelt, ist das Phänomen nun halt wie immer um ein paar Dutzend Größenordnungen größer. Einen der umfangreichsten Anbieter etwa findet man auf shuidi.huajiao.com. Hier gibt es, ordentlich nach Kategorien geordnet, Hunderte Überwachungskamera-Streams, die oftmals mehr als 10 000 Zuschauer haben. Wie praktisch, dass das Unternehmen hinter der Website auch gleichzeitig noch Webcams herstellt.

Neben der schieren Größe der Seiten sind es aber vor allem die Orte, an denen gefilmt wird, die krasser wirken als die Beispiele aus dem westlichen Internet. Die Bilder stammen nicht nur von öffentlichen Plätzen, sondern auch aus Sporthallen, Restaurants, Supermärkten und sogar Schulen. Der WSJ-Korrespondent berichtet, wie das Verhalten von essenden Paaren, Schülern oder Sportlern maliziös kommentiert werde.

Die Livestreams normalisieren fragwürdige Massenüberwachung

So wird die Überwachung normalisiert. Wer schon von seinen Mitbürgern kontrolliert und bewertet wird, für den wird es wohl weniger problematisch sein, wenn auch noch die Regierung zuschaut. Der eh schon latent vorhandene Fatalismus gegenüber staatlicher Überwachung, heißt es von Kritikern, werde nun noch mehr verstärkt. All das in einem Land, in dem die Regierung bis zum Jahr 2020 sukzessive eine Art von sozialem Kreditsystem einführen will, das konformes Verhalten belohnt und Abweichungen bestrafen soll.

"Eine edle Person sollte nichts zu verbergen haben", wird der Betreiber eines Portals beschwichtigend zitiert. Das hört sich bekannt an. Ähnlich, wenn auch weniger vornehm ausgedrückt, argumentieren ja auch immer wieder hiesige Sicherheitspolitiker, wenn es um die Einführung eines neuen Überwachungsgesetzes geht.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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