Nachruf:Thrills, Pop und Politik

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Ausgesprochen effektive Kinoinstinkte haben Jonathan Demme zu einem großen Regisseur seiner Zeit gemacht. (Foto: imago/ZUMA Press)

Jonathan Demme, oscarprämierter Regisseur von "Schweigen der Lämmer" und "Philadelphia", ist im Alter von 73 Jahren gestorben.

Von Tobias Kniebe

Es gibt diesen Moment in "Das Schweigen der Lämmer", wo das Haus von Buffalo Bill, dem furchtbaren Serienkiller und Frauenhäuter, gegen Ende scheinbar gefunden ist. Die Spezialtruppen greifen zu ihren Waffen und setzen sich in Bewegung, die Rettung rollt an - und Clarice Starling alias Jodie Foster, die FBI-Agentin, die ihre Angst überwunden und selbst gelernt hat, wie ein Killer zu denken, von niemand anderem als dem legendären Hannibal Lecter - sie wird nun endlich Hilfe bekommen. Was der Regisseur Jonathan Demme dann aber macht, ist einer dieser unvergesslichen Herzschlagmomente des Kinos: Die Hilfstruppen stürmen ins falsche Haus - und man erstarrt fast in dem Bewusstsein, dass Clarice Starling nun bis zum Ende allein kämpfen muss.

Fünf Hauptoscars für einen Horrorfilm - das gab es davor nie

Derart effektive Kinoinstinkte haben Jonathan Demme zu einem großen Regisseur seiner Zeit gemacht. Er lernte sie in den wilden Niederungen der B-Pictures, beim Exploitation-Guru Roger Corman. Der ließ Demme, der 1944 in Baldwin, New York, geboren wurde, in den frühen Siebzigern harte Stoffe schreiben - und gab ihm dann den Frauengefängnisfilm "Caged Heat" (1974) als Regiedebüt. Das war nicht leicht für den Hippie und Pop-Fan, der zeitlebens auch gerne Dokumentationen über Neil Young oder die Talking Heads drehte. So zaghaft ging er an die Sache heran, dass eine der Nacktdarstellerinnen ihn der Legende nach schließlich ermahnen musste: "Mensch, stell dich nicht so an, es ist bloß ein Film."

In den Achtzigerjahren erweiterte Demme dann seinen Aktionskreis, mit "Melvin und Howard", zwei der seltsamsten Buddys der Filmgeschichte, mit der verführerisch bösen Melanie Griffith in "Something Wild", mit Michelle Pfeifer als bezaubernder Mafiabraut in "Married to the Mob". Da galt er schon als kommender Mann - doch die Lämmer in Clarice Starlings Albträumen, die einfach nicht schweigen wollten, katapultierten ihn 1991 dann über Nacht in die Riege der Regiesuperstars. Fünf Hauptoscars für einen Horrorfilm - das gab es davor nie und hat es auch seither nicht mehr gegeben. Aber es wundert nicht, denn der Film zeigte neben dem sabbernden Anthony Hopkins und allen anderen Thrills auch eine bemerkenswerte Sensibilität für den beruflichen Kampf der Frauen. Jonathan Demme war auch immer ein politischer Filmemacher, was gleich sein nächster Oscarstreich mit Aplomb bestätigte: In "Philadelphia" verpackte er den Kampf gegen Aids und um Anerkennung queerer Lebensmodelle so geschickt in die Tränen von Tom Hanks, dass selbst Macho-Amerika, in Gestalt etwa des Soundtrack-Sängers Bruce Springsteen, plötzlich freiwillig mit an Bord war.

"Diese zwei Stunden haben mein Leben vom Kopf auf die Füße gestellt"

Fragte man ihn, warum er auch immer politische Dokumentarfilme gedreht hat, über Nelson Mandela oder die ewigen Kämpfe in Haiti, ohne Aussicht auf ein Massenpublikum, erzählte er von einem Erlebnis als junger Mann: Der Vietnamkrieg war in vollem Gang, er wäre wahrscheinlich auch kämpfen gegangen, aber dann sah er den französischen Anti-Kriegsfilm "Loin de Vietnam" (Fern von Vietnam), fünf Dokumentar-Episoden von Jean-Luc Godard, Alain Resnais, Agnès Varda und anderen. "Diese zwei Stunden haben mein Leben vom Kopf auf die Füße gestellt" sagte er. "Seither glaube ich an die Macht des Kinos, das Bewusstsein der Menschen zu verändern." Um dann aber gleich verschmitzt anzufügen, diese Macht könne für Filmemacher wie eine Droge wirken - und er habe immer höllisch aufgepasst, keine Überdosis zu nehmen, auch immer wieder zu seinen Wurzeln zurückzukehren, zum Thrill des puren Entertainments.

"Hannibal", die irre Fortsetzung von "Schweigen der Lämmer", die der Autor Thomas Harris sich ausgedacht hatte, war ihm (und auch Jodie Foster) dann aber doch zu brutal, nach der Jahrtausendwende machte er eher kleinere Geschichten wie den schönen Chaosfamilienfilm "Rachel Getting Married" und ein Remake des "Manchurian Candidate". Seine eigene Hoffnung, noch einmal zu einem großen Horrorstück zurückzukehren, sollte sich nicht erfüllen - obwohl ihm sein Gespür für die unvergesslichen Herzschlagmomente bewusst war. "Meine stärkste Waffe als Regisseur", sagt er, "ist mit Sicherheit meine Angst." Am Mittwoch ist Jonathan Demme im Alter von 73 Jahren in New York gestorben, nach längerem Kampf gegen den Krebs.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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