München:Zerrissen von widerstrebenden Gefühlen

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Kein Glück: Julie (Camille Schnoor) und Daniel Prohaska (Liliom). (Foto: Thomas Dashuber)

Josef E. Köpplinger gelingt eine berührende Inszenierung von Molnárs "Liliom", auch dank der Opernmusik Johanna Doderers

Von Rita Argauer, München

Dass Jahrmärkte neben der obligaten Spaßvermittlung auch etwas Gruseliges haben, ist nicht die Erfindung der dämlichen Horror-Clowns. Von Hitchcocks "Strangers on the Train" samt Jahrmarktsmord und dortigem Showdown bis zu Stephen Kings paradigmatischen "Es" - die Kirmes und die Parallelgesellschaft der Schausteller spiegeln die gelebten Abgründe der braven Bürger. In Ferenc Molnárs Theaterstück "Liliom" ist das nicht wirklich anders.

Das Gärtnerplatztheater hat den Stoff nun als Oper in der Reithalle uraufgeführt. Die Musik von Johanna Doderer entspricht elegant dieser zwielichtigen Stimmung zwischen Vergnügen und falschem Spiel, zwischen Gefühlen und Wünschen sowie der Erfahrung, dass es unmöglich ist, sie ins Leben zu übertragen.

Das Orchester unter der Leitung von Michael Brandstätter ist dabei eine vielgeteilte Stimmungsmaschine, in der collagiert und geschichtet Walzerseligkeit, alarmierte Streicher und Jahrmarktsorgeln erklingen. Die Menschen, der Chor genauso wie die Protagonisten des Stücks, sind jedoch stimmlich beschnitten. Häufig auf wenigen, nah beieinander liegenden Tönen führen die Gesangsstimmen vor, wie wenig Spielraum der Mensch hier hat.

Intendant Josef E. Köpplinger hat diese Figuren als Regisseur dabei ohne Doppeldeutigkeit oder Regiespielerei in Szene gesetzt. Angelika Kirchschlager tritt zwischen Zuhälterin und Hexe als Ringelspiel-Betreiberin Frau Muskat auf, die starke Cornelia Zink gibt die Marie als brave, aber lebensfroheste aller Figuren, während der rockerhafte Daniel Prohaska in der Titelrolle und die großartige Camille Schnoor als Julie die Auslebung ihrer Liebe im gelebten Nihilismus verfehlen. Doderers Musik ist dazu kongenial, etwa wenn schneidende Geigen auf ein Klavier voll Schlagerrührseligkeit treffen und Liliom und Julie sich im vereinten Outlaw-Schicksal für ihr kurzes, unheilvolles Eheleben entscheiden.

Schnoor, die ihr Debüt als Solistin des Ensembles gibt, singt die Julie mit toller Stimme teilnahmslos, eine Frau, die von der Gesellschaft gelähmt und gleichzeitig wunderbar hartnäckig ist. Ein Lächeln huscht ihr nie über das verschlossene Gesicht. Umso berührender wird der Höhepunkt des Stücks: Julies Arie über dem toten Liliom ist von schönstem romantischen Schlaflied-Charakter, durchgezogen von wütenden gesprochenen Passagen und höchstem Soprangeglitzer, der aber keine Entwicklung oder gar Öffnung erfährt, sondern in mächtiger Gefühlsunterdrückung auf einem Ton verharrt.

Doderer benutzt in dieser Komposition, was die Musikgeschichte hergibt. Von Volkslied-Lieblichkeiten zu Puccini-Zuckrigkeit, von Minimal-Anklängen in der Himmelsszene zu abstrakter Geräuschhaftigkeit. Dennoch schafft sie es, das zu einer eigenen musikalischen Sprache zu vereinen. Atonale Avantgarde ist für sie genauso Mittel wie berührend romantische Harmonieführungen. Dadurch ist mit "Liliom" eine zeitgenössische Oper entstanden, die das musikalische Erzählen der Geschichte über die unbedingte Suche nach musikalisch Neuem stellt. Dass dabei tatsächlich etwas Neues entsteht, das dennoch so zu berühren vermag wie Werke der Romantik, ist wunderbar.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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