München:Leicht hingetupft

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Psychogramm einer Selbstopferung: Tara Erraught, Ausrine Stundyte und Patrick von Kleist (von links) in der Oper "Selma Jezková". (Foto: Wilfried Hösl)

Die Oper "Selma Jezkova" in der Alten Kongresshalle

Von Egbert Tholl, München

Seltsam. Bei Ihrer Uraufführung vor fünf Jahren in Kopenhagen wirkte Poul Ruders' Oper "Selma Jezkova" nach dem Film "Dancer in the dark" von Lars von Trier wie ein Homunkulus. Damals wirkte der Versuch - übrigens unter dem Original-Filmtitel -, eine Art Musical-Film in eine Oper umzuwandeln, wie reine Hybris, wirkte das Ansinnen, ein Stück Musiktheater von einer offenbar übermächtigen Vorlage emanzipieren zu wollen, so hilflos wie nutzlos. Jetzt, bei der Eröffnung der Münchner Opernfestspiele, bei der Neuinszenierung von "Selma Jezkova" durch Andreas Weirich in der Alten Kongresshalle ist der Eindruck ein ganz anderer.

Poul Ruders, der meistgespielte lebende dänische Komponist, ist ein begabter Collageur - sein größter Erfolg jenseits der Oper waren vor 20 Jahren Variationen über ein Thema von Henry Purcell. Ruders kennt die Musikgeschichte, sammelt viel und packt das Gefundene in einem wohlklingenden, solistisch durchwirkten, exakt arrangierten Klangkosmos zusammen. Einmal wurde ihm, klanglich nicht unbegründet, das Epitheton "Richard Strauss des 21. Jahrhunderts" verliehen. Aber vielleicht hatte selbst Strauss auch seine schwachen Momente.

Lars von Triers Film ist ja nicht gerade geschwätzig, doch im Libretto Henrik Engelbrachts bleiben vom Plot nur ein paar dürre Dialoge, praktisch eins zu eins aus dem Film herausdestilliert. Der Text liefert keine eigene Idee zu dem Stoff, dafür holpert er in Windeseile in die Katastrophe. Die Musik tut es ihm ähnlich. Verknappt gesagt dienen bei Triers Film die sieben Musikstücke von Björk dazu, auszumalen, wie sich Selma, die erblindende Hauptfigur, in eine Traumwelt träumt. Weg aus der grauen Alltagsrealität der tschechischen Einwanderin im Amerika der 1960er Jahre in die bunte Welt des klassischen Musicals.

Björks Lieder nehmen dabei den Rhythmus des Fließbands auf, die Geräusche im Gerichtssaal, und formen daraus musikalische Strukturen. Diese Lieder sind eine Reverenz an die Musicals der 1940er Jahre; aber sie haben einen sehr eigenständigen Ton. Bei Ruders werden aus mehr als zwei Stunden Film 70 Minuten Musiktheater. Das Heraustreten der Songs ahmt er nach, doch: Während im ansonsten musiklosen Film Björks Lieder mit ihrer Ausdruckskraft tatsächlich von einer anderen Welt künden, heben sich Ruders' geschlossene Nummern (eine davon ist eine echte Björk-Kopie) kaum vom sie umgebenden, eher pauschal düster-dräuenden Klangbild ab. Poul Ruders' größte Leistung besteht darin, die Filmszenen ins Gedächtnis zurückzurufen und auch auf Selmas Traumwelt mittels geschickt eingewobener Musical-Zitate zu verweisen. Doch letztlich behauptet diese Musik einen emotionalen Gehalt, der selten durch mehr gefüllt ist als eben durch die Evokation der ihr fremden Gefühle, die der Film hervorruft.

Zugegeben: Das klingt nun ein bisschen verheerend, doch die Inszenierung geht mit den Defiziten geschickt um. Anfangs gucken sich Selma und ihr Sohn einen tschechischen Tanzfilm an, dann wird vor allem durch die Hauptfigur selbst in einem weiten Zirkusrund die Leidensgeschichte Selmas vergegenwärtigt. Selma ist Ausrine Stundyte, und sie ist wunderbar. Sie hat die Partie inhaliert, und singt und spielt sie mit einer verblüffenden Jugendlichkeit, mit einer immensen Wahrhaftigkeit. Wo Ruders nah am Kitsch laviert, ist Stundyte echt, und dadurch rührt sie. Um sie herum tolle Kollegen, vor allem Kevin Conners als geifernder Staatsanwalt.

Doch bleibt alles Studie, wird Ruders' Stück zum Psychogramm einer Selbstopferung. In Kopenhagen versuchten sie damals Requiem, große Oper. An der Bayerischen Staatsoper ist man klüger und tupft szenisch etwas hin, was das Münchener Kammerorchester unter Oksana Lyniv extrem stilsicher, akkurat und lebendig ausmalt. Und: Man befindet sich in einem der schönsten Räume Münchens, der auch noch fabelhaft klingt, weil Lyniv sorgsam auf die Dynamik achtet. Alle suchen immer nach dem perfekten Musiksaal in München. Hier ist er.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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