Mein Empire:Als Kotzen noch richtig war

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Unser Autor zieht nach England - nicht zum ersten Mal. Damals gab es schaukelnde Überfahrten und die Trauer um eine Yamaha SR 500. Heute kommen internationale Umzugsunternehmen und befördern einen so schnell wie unheimlich ins Neue. Selbst englische Bankmenschen sind inzwischen freundlich geworden. Aber macht das unsere Welt wirklich besser?

Christian Zaschke

Als ich das erste Mal von Deutschland nach Großbritannien gezogen bin, habe ich die Fähre genommen. Hamburg nach Newcastle, erst allmählich die Elbe entlang, vorbei am Schulauer Fährhaus, wo die Schiffe begrüßt werden, dann 24 Stunden auf der stürmischen Nordsee. Das halbe Schiff hat gekotzt.

Umzugsziel England: Kann es richtig sein, sich von einem europäischen Land mit all seinem Besitz in ein anderes zu begeben, aber so schnell, dass der Kopf nicht mitkommen kann? (Foto: REUTERS)

Ich hatte nur dabei, was ich tragen konnte. Die Bücher hatte ich eingelagert, den Rest verschenkt, und leider eine Yamaha SR 500 von 1978 für 666 Mark verkauft. Ehrlich gesagt, für 660, weil der Käufer sagte, er sei gläubig, und ob ich denn nicht wisse, dass 666 die Zahl des - bis heute verstehe ich nicht, warum ich nicht mit dem Motorrad gefahren bin. Ich bin sicher, dass die Maschine immer noch läuft und den Gläubigen durch die Weiten Schleswig-Holsteins trägt, vielleicht von Kiel nach Gammelby und weiter bis nach Missunde, wo die Schlei ganz schmal wird.

Ich hätte mit dem Motorrad von Newcastle nach Edinburgh fahren können, wo ich studierte, und weiter über Auchtermuchty bis nach John O'Groats, wo die Welt zu Ende ist. Aber ich dachte, ich brauche das Geld.

Heute ist es keine große Sache mehr, ins Ausland zu ziehen. Die Zahl deutscher Studenten im Ausland hat sich zwischen 2000 und 2008 mehr als verdoppelt, und auch die Berufsnomaden werden immer mehr. Beruflich umzuziehen ist regelrecht langweilig: Ein Umzugsunternehmen, das sich "International Relocator" nennt, fährt vor, packt alles ein, düst zum Ziel, packt alles wieder aus. Auch die landestypischen Tücken werden immer weniger. Früher war es zum Beispiel in England ein wichtiger Initiationsritus für Ausländer, um ihr Bankkonto zu kämpfen. Man brauchte zur Kontoeröffnung eine Rechnung an seine englische Adresse - aber ohne Konto keine Rechnung. Nur wer dieser Zwickmühle nach wochenlanger Arbeit entronnen war, hatte das Gefühl, angekommen zu sein. Heute sind die Bankmenschen sogar freundlich.

Sich von einem europäischen Land mit all seinem Besitz in ein anderes zu begeben, geht so schnell, dass der Kopf nicht mitkommen kann. Es ist irgendwie unheimlich. Es ist irgendwie falsch.

Damals hatte mich ein Deutscher, den ich auf der Fähre beim Kotzen kennengelernt hatte, mit nach Edinburgh genommen. Er fuhr einen Suzuki-Jeep, trug einen lächerlichen Fusselbart, kam aus Ostdeutschland und sprach kein Wort Englisch. Da ich noch keine Wohnung hatte, lebte ich die ersten Wochen mit ihm in seinem Acht-Quadratmeter-Zimmer. Ich zahlte keine Miete, dafür dolmetschte ich. Der Ostdeutsche lernte Englisch, er sprach bald mit starkem schottischen Akzent und trat dem Dudelsack-Klub der Uni bei. Als ich ihn das letzte Mal sah, trug er einen Kilt. Das war ebenfalls irgendwie unheimlich, aber es war auch sehr, sehr richtig.

© SZ vom 01.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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