Little Britain:Kampfhund-Küssen

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Und jetzt bitte direkt auf den Mund küssen: Für eine gute Wohnung muss man in London schon ein wenig Einsatz zeigen. (Foto: ag.dpa)

Um vor Mörderameisen und Killerspinnen zu fliehen, zieht unser Autor um. Es gilt nur noch, eine Wohnung zu finden, deren Vormieter Amerikaner sind und einen Rottweiler auf die Schnauze zu küssen.

Von Christian Zaschke, London

Es sind nur 200 Meter. Vielleicht 300. Keine große Sache. Von einem großen, roten Mehrfamilienhaus in ein kleineres, weißes Mehrfamilienhaus. Ich habe mich beim Stromversorger umgemeldet, beim Gasversorger und beim Wasserversorger sowieso. Nachsendeauftrag ist eingereicht, kostet genau 100 Pfund. Bank benachrichtigt, Gemeindesteuer neu berechnet, Endreinigung bestellt, SZ-Abo umgeleitet. Alle anderen Zeitungen kaufe ich weiterhin jeden Morgen beim Newsagent, dem freundlichsten Mann des Viertels. Ich bin bereit.

Die Vormieter der neuen Wohnung sind Amerikaner. Sie haben gesagt, die Wohnung sei okay. Wenn die Vormieter Amerikaner sind und über eine Londoner Wohnung sagen, sie sei okay, darf man keine Fragen mehr stellen. Man muss sofort anbieten, die absurd hohe Miete freiwillig aufzustocken. Besitzt der Vermieter, wie fast alle Vermieter, einen tollwütigen Rottweiler mit braunfauligem Gebiss, muss dieser wiederholt geknuddelt und direkt auf die Schnauze geküsst werden, das schafft Bindung zu Hund und Besitzer. Die Hauptsache ist: Man bekommt die Wohnung. Genau so habe ich es gemacht.

Auf Stehempfängen sagen Amerikaner auf unnachahmlich lässige Art: "Jeder weiß, dass man bei Londoner Wohnungen hinsichtlich des Komforts gewaltige Abstriche machen muss." Engländer hören sich das in großer Ruhe an. Sie quittieren solche Aussagen mit freundlichen Blicken. Diese bedeuten auf unnachahmlich lässige Weise: "Jeder weiß, dass man bei Amerikanern hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit gewaltige Abstriche machen muss."

Aber sie wissen, dass die Amerikaner womöglich recht haben könnten. Amerikaner würden nie in eine Wohnung mit undichten Fenstern einziehen, in der die Spalten in den knarzenden Laminatböden fingerbreit sind und die leise tröpfelnden Duschen an guten Tagen lauwarm werden.

Wann immer mich zuletzt jemand fragte, wie denn die neue Wohnung so sei, in die ich ja sicherlich bald einziehen werde, sagte ich also: "Die Vormieter sind Amerikaner." Ich erntete bewundernde, teils neidische Blicke.

Meine alte Wohnung hatte einen unentfernbaren Vogelscheißfleck am undichten Schlafzimmerfenster, wie ich schon ein- oder vielleicht sogar zweimal erwähnt habe. Ich hoffe, es ist Adlerscheiße. Ich teilte die Wohnung mit allerlei Kleingetier, darunter Mörderameisen und Killerspinnen. Sie war hundehüttengroß und kostete in der Woche ungefähr so viel, wie der Chef von Daimler im ganzen Jahr verdient. Ich werde sie nie vergessen.

© SZ vom 08.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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