Literatur:Gottes Wort und des Menschen Antwort

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In der Münchner Matthäuskirche lesen Schriftsteller mit ganz unterschiedlichem religiösen Hintergrund aus Texten, die von Bibelpsalmen inspiriert wurden

Von Sabine Reithmaier

Unabhängig von der eigenen religiösen Herkunft: Der Gedanke, im Lutherjahr auf einen Psalm ihrer Wahl literarisch zu reagieren, hat die Autoren sofort angesprochen. Eine Gemeinsamkeit lässt sich zwischen Uwe Kolbe, Sibylle Lewitscharoff, Gila Lustiger, Said, Arnold Stadler und Feridun Zaimoglu auch schnell ausmachen. Sie bezeichnen die Bibel als ihre Dauerlektüre. Doch ansonsten überwiegen die Unterschiede zwischen den Dichtern, die Cornelia Zetzsche, Leiterin des Bereichs Literatur im Bayerischen Rundfunk, für eine Lesung in der Münchner Matthäuskirche ausgewählt hat.

Manche beschäftigen sich seit Jahren mit Psalmen. Büchner-Preisträger Arnold Stadler, studierter Theologe, veröffentlichte bereits 1999 seine Psalmenübertragungen "Die Menschen lügen: Alle". In dem neuen Prosatext, in dem er sich mit Psalm 130, "Aus tiefer Not" auseinandersetzt, verarbeitet er autobiografische Erfahrungen, erinnert sich an die Priester, die er als Ministrant auf den Friedhof in Meßkirch begleitete, und daran, wie tief ihn die Sprache der Psalmen beeindruckte.

Den Psalm 130 wählte auch Said, der iranische Dichter, der nun seit vier Jahrzehnten in München lebt und 2007 eigene Psalmen veröffentlicht hat. Seine Herangehensweise ist aber eine völlig andere, denn er formuliert in seinen Anrufungen seine Zweifel und Fragen an Gott, greift existenzielle Befindlichkeiten auf. Der neue Psalm des Agnostikers dürfte daher auch kirchenkritische Anklänge haben.

Gila Lustiger wiederum hörte hebräische Psalmen, wenn sie als Kind mit ihren Eltern an Feiertagen die Synagoge besuchte. Obwohl sie keine praktizierende Jüdin ist, lässt ihre Religion sie nicht los. In ihrem ruhigen, meditativen Text, der auf Psalm 23 reagiert, erinnert sie sich an ihre frühen Eindrücke in der Synagoge, reflektiert darüber, was diese Besuche für ihren Vater bedeuteten. Der jüdische Historiker Arno Lustiger hatte mehrere Konzentrationslager überlebt und in der Familie lange nicht darüber gesprochen.

Sprachgewaltig agiert Feridun Zaimoglu, der eben erst einen Lutherroman geschrieben hat. Nach eigenen Angaben hat der deutsche Autor türkischer Herkunft die Bibel schon um die 30 Mal gelesen. Als Zehnjähriger lieh er sie sich zum ersten Mal in der Stadtbibliothek München aus, was die Bibliothekarin seltsam fand. Ob er nicht doch lieber Abenteuerromane lesen wolle, fragte sie ihn. Aber das eigenwillige Gastarbeiterkind zog die Bibel vor. In seinem Prosatext beschreibt Zaimoglu nun eine Gruppe von Menschen, die bedroht sind. Es könnte sich um eine Sekte handeln, aber auch um Christen im heutigen Ägypten. So klar wird das nicht, denn Zaimoglu changiert zwischen den Zeiten, entwickelt ein zeitloses Poem in einer eigenen archaisch-historisierenden Kunstsprache.

Sibylle Lewitscharoff verdankt der pietistischen Großmutter ihre ersten religiösen Erfahrungen. Ihr Text setzt in der Gegenwart ein, fragt sich, ob und wie sich der Mensch unter der ständigen Flut von Kriegs- oder Flüchtlingsmeldungen verändert, setzt sich anhand des Rachepsalms 140 mit der uralten Frage auseinander, wie Gott so eine grausame Welt zulassen kann.

Keinen religiösen Hintergrund hatte zunächst Uwe Kolbe, der in einem, wie er es formuliert, "gottlosen Haushalt in Ostberlin" aufgewachsen ist. Die Bibel entdeckte er erst als Erwachsener für sich. Er hat sich den Psalm 107 vorgenommen, das "Danklied der Erlösten", und sich in die Rolle eines Mönchs versetzt.

Ergänzt wird das Bitten, Loben, Klagen und Rufen der Autoren in der Matthäuskirche durch Musik: Der Countertenor Nicholas Hariades und Rudi Spring am Klavier interpretieren Psalmen. Was sonst?

Höre mich! Schriftsteller antworten auf das Buch der Psalmen ; mit Uwe Kolbe, Sibylle Lewitscharoff, Gila Lustiger, Said, Arnold Stadler und Feridun Zaimoglu, 27. April, 19.30 Uhr, Matthäuskirche München (und am 30. April und 7. Mai, 11 Uhr, Bayern 2)

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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