Latin-Pop:Der unbekannte Star

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In Lateinamerika füllt sie Fußballstadien, hierzulande hat man von der Popsängerin nie gehört. Nun tritt Paty Cantú im kleinen Weißenburg auf - wie kommt es dazu?

Von Uwe Ritzer

Größere Gegensätze kann man sich kaum vorstellen, als den Vergleich der 22-Millionen-Einwohner-Megastadt Mexico City und dem mittelfränkischen Weißenburg mit seinen gut 18 000 Einwohnern. Oder zwischen einem mit enthusiastischen Fans prall gefüllten Fußballstadion in Mittel- oder Lateinamerika und dem 450 Besucher fassenden Wildbadsaal mitten in der besagten Kleinstadt 45 Autominuten südlich von Nürnberg. Weshalb sie in Weißenburg nun rätseln, wie Paty Cantú damit umgehen wird.

In ihrer Heimat ist die 33 Jahre alte Latin-Pop-Sängerin nämlich ein Superstar. Wann immer sie auf der Straße erkannt wird, bilden sich ganz schnell Menschenaufläufe. Zu ihren Konzerten strömen Tausende Menschen in die Hallen und Stadien Mittelamerikas; in Mexico City ist Paty Cantú schon vor 180 000 Zuschauern aufgetreten. Die Popkünstlerin hat Millionen registrierter Fans in den sozialen Netzwerken, die Fernsehsender reißen sich um sie nicht nur als Sängerin, sondern auch als Schauspielerin, und in den Boulevard- und Klatschmedien finden sich reichlich Bilder und Geschichten.

In der mittelfränkischen Provinzstadt Weißenburg ist Paty Cantú einfach die Schwester von Maria-Dolores, die mit ihrem deutschen Ehemann und ihrer Familie seit fast 19 Jahren in dem Städtchen lebt. Nur wenige Freunde der Familie wussten hier bislang um den Star-Status der zierlichen Sängerin in ihrer Heimat. Bei ihren zahlreichen Besuchen in Weißenburg wurde Paty Cantú in der Vergangenheit von kaum jemandem erkannt. Das könnte sich nun ändern.

An diesem Samstag gibt die Sängerin samt ihrer Band in Weißenburg ein Konzert. Es ist das erste überhaupt in Deutschland, und es ist bereits seit vielen Wochen ausverkauft. Für den zweite Auftritt Cantús am 18. Januar im Nürnberger Musikclub "Hirsch" gibt es dagegen noch einige Karten. "Sie freut sich sehr auf die beiden Konzerte", versichert ihre Schwester Maria-Dolores. Zumal der Erlös des ersten Auftritts in Weißenburg über den örtlichen Rotary Club an die mexikanische Stiftung CIE gehen wird, die vor allem Kinderkrankenhäuser und Schulen für Indios baut und unterstützt.

So ganz nebenbei sind die beiden Konzerte aber auch ein kleiner Gradmesser dafür, wie empfänglich der deutschsprachige Markt für Paty Cantú und ihren Latino-Pop sein könnte. Etwa für die Balladen mit ganz viel Gefühl über Liebe, Leid, Leidenschaft und kleine Alltagsgeschichten. In Europa hat sie naturgemäß und allein schon sprachbedingt viele Fans auf der iberischen Halbinsel. Paty Cantú schreibt nicht nur ihre eigenen Songs, sondern auch Lieder für andere Interpreten.

Global betrachtet, muss es Paty Cantú niemandem mehr beweisen, denn sie hat den Durchbruch längst geschafft. Erst im vergangenen Oktober wurde sie vom Musiksender MTV in Rotterdam mit dem European Music Award in der Kategorie Beste Latin-Künstlerin Nordamerikas ausgezeichnet; 2013 bekam sie bereits eine ähnliche MTV-Auszeichnung.

Paty Cantú hat den Weihnachtssong von Coca-Cola und die spanische Version des offiziellen Songs zur Fußball-WM 2014 in Brasilien eingesungen. Allein das Video zu ihrem Hit "Suerte" wurde auf Youtube 42 Millionen Mal geklickt. Zusammen mit dem italienischen Tenor und Liederschreiber Andrea Bocelli nahm sie für dessen neues Album die berühmte Evita-Ballade "No Llores por mí Argentina" ein, "Don't Cry for Me Argentina". Auch mit anderen internationalen Künstlern wie Laura Pausini, den spanischen Pop-Barden Ana Torroja und David Bisbal oder dem Mexikaner Juan Gabriel hat sie im Studio oder auf der Bühne gesungen. Noch in diesem Jahr soll ein neues Album von Paty Cantú erscheinen.

"Wir sind sehr stolz darauf, dass sie nun bei uns in Weißenburg auftritt und hier ihr erstes Konzert in Deutschland gibt", sagt Jürgen Schröppel, der Oberbürgermeister der kleinen Stadt. Und bedauert sehr, einer anderen Verpflichtung wegen nicht selbst zu dem Konzert kommen zu können. Bislang sei er Paty Cantú noch nicht persönlich begegnet, die seit ihrer Teenagerzeit alle ein, zwei Jahre bei ihrer Schwester zu Besuch ist. "Meistens kommt sie an Weihnachten", sagt Maria-Dolores Albrecht-Cantú, "sie mag das Fest, Weißenburg, den Winter, Skifahren in den Alpen und das deutsche Essen". Fast traut man es sich nicht hervorzuheben, denn natürlich herrscht bei solchen Fällen erheblicher Klischee-Verdacht. "Aber es ist tatsächlich so, dass Paty bayerischen Schweinebraten mit Knödel liebt und am liebsten von hier aus Ausflüge nach Schloss Neuschwanstein unternimmt, weil sie es dort so romantisch findet", erzählt die Schwester.

Maria-Dolores Albrecht-Cantú ist das älteste von vier Kindern, Paty das jüngste. Die Familie stammt aus Guadelajara, die amerikanische Country-Rocksängerin Linda Ronstadt ist eine entfernte Verwandte. Der Vater handelt mit touristischen Immobilien und während fünf Jahren, in denen die Familie in Houston im US-Bundesstaat Texas lebte, kam Patricia Giovanna Cantú Velasco dort zur Welt. Schon als Kind habe Paty leidenschaftlich gerne gesungen, erzählt ihre Weißenburger Schwester.

Als Teenager gehörte Paty Cantú einer typischen Girlie-Band an, lernte Gitarre, Klavier und Bass, studierte Musik. Als ein befreundeter Künstler ein Demo-Band für eine Plattenfirma aufnahm, sang sie mit ihm dafür ein Duett ein. Die Plattenfirma gab ihm einen Vertrag - aber nur unter der Bedingung, dass die Sängerin dabei bleibt. "Ihren ersten, eigenen Plattenvertrag hat sie mit 18 Jahren hier in Weißenburg unterschrieben", erzählt ihre Schwester. Warner Music hatte ihr den Kontrakt eigens per Kurier in den Weihnachtsurlaub nach Franken nachgeschickt; Maria-Dolores' Ehemann Gustav, einem Rechtsanwalt, oblag die finale rechtliche Prüfung. Dieses Mal reicht es nur zu einer kurzen Stippvisite beim deutschen Teil der Familie. Gleich nach dem Konzert in Nürnberg reist Paty Cantú auch schon wieder ab. Dort hin, wo sie beinahe jeder kennt.

Paty Cantú ; Samstag, 14. Januar, Wildbaadsaal, Weißenburg; Mittwoch, 18. Januar, Hirsch, Nürnberg, Vogelweiherstraße 66

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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