Kurzkritik:Eiserne Lady

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Ann Hallenberg im Herkulessaal

Von Klaus Kalchschmid, München

Agrippina oder auch Agrippinilla, die in den Jahren 15 bis 59 nach Christus lebte, half ihrem berüchtigten Sohn Nero mit Mord und Intrigen auf den römischen Kaiser-Thron. Dann aber wollte er die Mutter - und Mitwisserin - loswerden und lancierte zahlreiche Attentate auf sie, eine einstürzende Zimmerdecke eingeschlossen, bis es schließlich Soldaten endlich gelang, sie zu meucheln.

Wenn die schwedische Mezzosopranistin Ann Hallenberg ihr "Agrippina"-Programm im Herkulessaal der Münchner Residenz mit zwei furiosen Wut-Arien von Carl Heinrich Graun ("Britannico") und Giuseppe Maria Orlandini ("Nerone") fulminant beschließt, dann singt da eine "eiserne Lady" eher wenig glaubwürdig von mütterlicher Kränkung. Doch bei Hallenberg im nachtblau schimmernden Mantelkleid und einer Handvoll exzellenter Musiker des fantastischen Originalklang-Ensembles "Il pomo d'oro" unter der Leitung seines neuen, 28 Jahre alten Chefdirigenten Maxim Emelyanychev am Cembalo sitzt alles: Jeder Ton und jede Koloratur, jede Phrase und Begleitfigur hat soviel Überzeugungskraft, dass man dieser Frau jegliches Gefühl glaubt.

Drei Arien aus Händels "Agrippina" zeigten andere Facetten, so "Ogni vento"; sie beschreibt, wie die Mutter die Regierung des Sohns ersehnt, oder "l'alma mia fra le tempeste", in der sie "finstere Stürme" in Kauf nimmt "für die liebliche Aussicht auf ein Königreich". Ebenfalls eine obligate Oboe (sehr fein, auch in einem Vivaldi-Konzert: Patrick Beaugiraud) sah das ungewöhnliche Arioso ("Pensieri") mit integriertem Secco-Rezitativ vor, das ein von mörderischen Gedanken gequältes Herz offenbart. Hallenberg und ihre immer mit ungeheurer Lebendigkeit, Prägnanz und Spannung spielenden "Begleiter" musizierten mit derselben Intensität auch Arien von Porpora (gewidmet der gleichnamigen Mutter Agrippinas) und Sammartini (gewidmet der Tante gleichen Namens).

Mit Stücken von Alessandro Stradella und Arcangelo Corelli faszinierte das Ensemble "Il pomo d'oro" noch rein instrumental, bevor zwei Zugaben aus Händels "Radamisto" und "Alcina" (die durch Hörner begleitete Arie Ruggieros von der wilden Tigerin) die hohe Betriebstemperatur des wunderbaren Barock-Abends noch einmal um ein paar Grad erhöhte. Großer Applaus im leider nur schwach besetzten Herkulessaal.

© SZ vom 26.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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