Kopftuchstreit:Die Robe ist stärker als das Kopftuch

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Die Jurastudentin Aquila S. klagt vor dem Gericht gegen Einschränkungen beim Rechtsreferendariat. (Foto: dpa)

Das Bundesverfassungsgericht möchte verbieten, dass Richterinnen Kopftuch tragen. Das ist, als müsste seinen Ehering ablegen, wer über Scheidungsfälle entscheidet.

Kommentar von Johan Schloemann

Richterinnen und Richter tragen Roben. Nicht, wenn sie über ihren Akten schwitzen oder ins Büro fahren, aber bei der Verhandlung im Gerichtssaal. Da mögen bei der hochsommerlichen Hitze einzelne Richter überlegen, ob sie den Robenzwang aufheben könnten: Die Amtstracht bleibt an. Sie soll die Würde des Gerichts ausdrücken, aber auch das Ideal der Gleichförmigkeit seiner Vertreter im Akt der Rechtsprechung. Die Robe ist, wie das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1970 zur Kleidung der Anwälte feststellte, "ein Beitrag zur Schaffung jener Atmosphäre der Ausgeglichenheit und Objektivität (. . .), in der allein Rechtsprechung sich in angemessener Form darstellen kann".

In dieser Woche nun hat dasselbe Verfassungsgericht in der Entscheidung gegen den Eilantrag einer muslimischen Referendarin aus Hessen angedeutet, wie ein noch ausstehendes endgültiges Urteil über Richterinnen mit Kopftuch ausgehen könnte: verbietend. So, wie es jetzt schon einige Bundesländer in ihre Richtergesetze schreiben oder schreiben wollen. Aber die erste Kammer des Zweiten Senats in Karlsruhe hat, obwohl selbst in die allerfeinste Variante in Scharlachrot gewandet, in der Begründung leider kein einziges Wort über die Amtskleidung verloren. Stattdessen haben die Richter eine neue "unbedingte Neutralität" eingeführt, gegen die ein muslimisches Kopftuch auf der Richterbank verstoßen soll.

Richter sind keine Staatsroboter

Aber kann man die Unabhängigkeit der Justiz, ein Ideal des demokratischen Rechtsstaates, rigoros auf die gesamte Persönlichkeit des einzelnen Richters ausweiten? Richter haben selbst Grundrechte, in diesem Fall das der Religionsfreiheit. Sie sind keine Staatsroboter. Die notwendige Fiktion totaler Neutralität gilt für die Bemühung um gerechte Auslegung des Gesetzes. Sie bedeutet nicht, dass der einzelne Richter keine erkennbaren Prägungen, Überzeugungen oder Charaktereigenschaften haben dürfte. Er muss auch nicht seinen Ehering ablegen, wenn er über Scheidungsfälle entscheidet. Unterstellte man, dass all solche Prägungen - ob nun in der Kleidung sichtbar oder nicht - objektives Urteilen unmöglich machten, würde dies im Gegenteil das Vertrauen in unabhängige Rechtsprechung generell untergraben.

Und hier kommt eben die Robe ins Spiel. Sie verlangt keine weitere Ausmerzung der Persönlichkeit, sie macht vielmehr das Kopftuch der Richterin leichter möglich. Bürger in Uniform: In dem Moment, in dem es "Im Namen des Volkes" heißt, ist die Robe stärker als das Kopftuch. Unsere Zeit ist zunehmend auf Symbole fixiert; und natürlich kann man inner- und außerislamisch gegen das Kopftuch sein. Das ist aber ein ganz anderer Punkt. Solange viele Frauen das Tragen als religiöses Gebot sehen, kann ihnen nicht deswegen der Zugang zu öffentlichen Ämtern verwehrt werden.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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