Konzert:Linienkönigin

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Lob der Provinz: Die große Geigerin Midori beeindruckt im bayerischen Zorneding. Nach München führt ihre aktuelle Tournee sie nicht.

Von Harald Eggebrecht

Ein bisschen seltsam ist es schon, einen Weltstar wie die japanische Geigerin Midori, die selbstverständlich in New York, Rio, Tokio und anderen Weltstädten gastiert, auf der Bühne eines Ortes zu erleben, der im S-Bahn-Einzugsbereich zum sich selbst großspurig als Musikmetropole lobenden München liegt. Midori fing ihre derzeitige Tournee in Germering an - eine Tournee, die sie unter anderem auch nach London, Berlin und Wien führt. Nur nicht nach München. Ein Lob der Provinz, das zugleich ernste Zweifel an den Veranstaltern der Landeshauptstadt provoziert.

Zorneding, zur Zeit wegen rassistischer Widerlichkeiten in den Medien, hat mit dem Nachbarort Baldham einen aktiven Kulturverein, der im Martinstadl neben der St. Martins-Kirche seit Jahren eine beachtliche Kammermusikreihe präsentiert. Der helle, hochgiebelige Raum, in den mit Empore wohl rund 400 Leute passen, klingt bedenklich trocken. Aber Midori lässt sich davon nicht beirren in ihrer Kunst der genauen, ja, insistierenden Linienführung in der Musik von vier sehr unterschiedlichen Stücken, die sie mit ihrem wunderbar klangreichen und ungemein aufmerksamen Klavierpartner Özgür Aydin an diesem Abend vorträgt.

Sie beginnt ironisch, elegant und amüsant mit einer typischen hochvirtuosen Zugabe, Franz Liszts Soirée de Vienne Nr. 6 nach einem Schubert-Walzer, für Violine transkribiert von David Oistrach. Es ist, als wolle sie damit bedeuten, danach könne man sich den gewichtigeren Aufgaben widmen, der Sonate von Edward Elgar, der Fantasie von Arnold Schönberg und der Sonate von Richard Strauss. Wer gedacht hatte, Elgar und Strauss würden nun spätromantisch üppig ausgemalt, sah sich wohltuend getäuscht. Midori verfolgt gleichsam zeichnerisch Elgars Melodieerfindungen und -verflechtungen und entfaltet dabei ein ebenso reiches wie zartes Aquarell-Klangfarbenspektrum. Während Elgars Musik, 1918 entstanden, sich träumerisch zurückzusehnen scheint, richtet Strauss in seiner gut dreißig Jahre älteren Sonate den Blick herausfordernd nach vorn. Midori bot das nicht mit übertrumpfender Gestik wie oft gehört, sondern baute im intensiven Dialog mit Özgür Aylin ein durchbrochenes Klanggebilde, das Schönbergs Fantasie von 1949 in ihrer Mischung aus scharfen Konturen und sinnierenden Flächen fast als logische Weiterentwicklung wirken ließ. Riesenbeifall, eine Zugabe zum Dank.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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