Koji Wakamatsu ist tot:Mit aller Gewalt

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Seine erotischen, politisch subversiven Thriller machten ihn in den sechziger Jahren legendär, doch dann vollzog Koji Wakamatsu in den achtziger Jahren eine Wende. Fortan hatte er die großen Themen im Blick, die er für die Ewigkeit verfilmen wollte. Nun ist Japans großer Gewalt- und Politregisseur bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.

Fritz Göttler

Im Juli 1966 überfiel Richard Seck in Chicago ein Schwesternheim, er hatte ein Messer dabei und tötete acht der Mädchen. Im März 1967 kam der Film "Violated Angels" in die Kinos, von Koji Wakamatsu, inspiriert wohl von den Morden in Chicago, aber inszeniert als stilisierter Alptraum, als traurige Männer-Impotenz-Phantasie.

Über einsame Männer und ihre Ängste hat er zahllose Filme gemacht, damals in den Sechzigern, im Genre des pink eiga, der sanften Pornos der japanischen Filmindustrie. Die Sanftheit kam von der Kameraarbeit, in ihrer gelassenen Strenge und formalen Brillanz - frontale Scope-Einstellungen, die die Aggressivität der Geschichten einhüllten. Voyeurismus, Manipulation, Sadismus, und das große Männertrauma: "Die größte Absurdität", so bringt es der Held in "The Embryo Hunts in Secret", 1966, auf den Punkt, "ist, dass ich geboren wurde." Mit ihren Gewalttaten gegen die Frauen rächen die Männer sich dafür, dass sie den Mutterleib verlassen mussten.

Koji Wakamatsu, geboren am 1.April 1936, kam über die Yakuzas zum Kino, er kümmerte sich um die Schmiergelder, die Produzenten zahlen mussten, wenn sie auf gangkontrolliertem Terrain drehten.

Wakamatsu wurde geschnappt, kam ins Gefängnis, wurde dort brutal behandelt. "Als ich wieder rauskam, wollte ich es den Behörden heimzahlen, aber ich wusste, wenn ich Gewalt anwendete, würde ich wieder im Gefängnis enden. Ich beschloss, eine andere Waffe einzusetzen - Filme. Gewalt in Filmen, das ist nur Imagination, dafür kann man nicht belangt werden . . ." Nagisa Oshima hat ihn damals unterstützt, später hat Wakamatsu Oshimas größten Kinoerfolg produziert, "Im Reich der Sinne".

Seine erotischen, politisch subversiven Thriller machten Wakamatsu in Europa legendär, im Vorfeld von '68, aber dann, mit fünfzig, machte er eine Wende. "Nun wollte ich nur noch Filme machen, die die Leute in fünfzig oder hundert Jahren angucken sollten: Aha, so war das damals . . ." Und das machte er dann, Filme über das Nachkriegsjapan, über die Sexsklavinnen, die kaiserliche Soldaten sich im Krieg hielten, über Kriegsversehrte, "Caterpillar", über den bewaffneten studentischen Widerstand, "United Red Army". Alles so radikal und gradlinig links wie in Europa es nur noch Ken Loach praktiziert.

Vor kurzem noch in Cannes und Venedig vertreten

In diesem Jahr war der unermüdliche Wakamatsu mit "11.25 The Day He Chose His Own Fate" (über Mishimas Ende) in Cannes und mit "The Millennial Rapture" in Venedig vertreten. Am Mittwoch ist er im Alter von 76 Jahren bei einem Verkehrsunfall in Tokio gestorben.

© SZ vom 20.10.2012/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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