Jugendstil: Mucha-Ausstellung:Die Eleganz der Kurve

Sphinxhaft lockende Puppengesichter, lustvoll drapierte Frauenleiber und animalisches Dekor: Die Hypo-Kunsthalle München zeigt den Meister des Jugendstils, Alfons Mucha. Die Bilder.

Gottfried Knapp

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Sphinxhaft lockende Puppengesichter, lustvoll drapierte Frauenleiber und animalisches Dekor mit erotischen Aromen: Die Hypo-Kunsthalle München zeigt den Meister des Jugendstils und Großmeister der Werbung, Alfons Mucha. Die Bilder. Text: Gottfried Knapp/SZ vom 12.10.2009/sueddeutsche.de/rusFoto: Prinzessin Hyazinthe © Mucha Trust 2009, VG-Bild-Kunst, Bonn 2009

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Warum ausgerechnet dieses Plakat aus dem Jahr 1894 seinen Schöpfer in Paris zum Großmeister der Werbung gemacht hat, ist heute nur noch schwer nachzuvollziehen. Zwar wölbt sich der Name der vergötterten Sarah Bernhardt wie in Stein gehauen im Halbkreis um die golden ausgeschlagene Nische, in der die Schauspielerin ihren Kopf im Halbprofil darbietet, doch ohne diesen dekorativ ausgebreiteten Namen bliebe das extrem hohe Plakat, das die ganze Figur in monströs steifer Theatermontur zeigt, seltsam blass, flach und ohne Ausstrahlung. Von der großen Tragödin, dem Theatertier, dem die Massen zu Füßen lagen, ist wenig zu erahnen: Unter dem ausladenden lilafarbigen Kunstblumengebilde, das sich wie ein Schwamm um den Kopf saugt, ist das charakterlose Dutzendgesicht, das zu keiner Form von Ausdruck fähig scheint, kaum zu entdecken. Und auch die anderen dekorativen Rollenstilisierungen, die Mucha der Theater-Diva gewidmet hat, verraten nicht viel mehr vom Charisma der Abgebildeten: Zwischen den harten Konturen des rahmenden Dekors verblasst das ebenmäßige Gesicht zur Beiläufigkeit.Foto: Die Kameliendame, Sarah Bernhardt/ © Mucha Trust 2009, VG-Bild-Kunst, Bonn 2009/Albertina, Wien

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Umso mehr verraten diese Plakate über die graphischen Fähigkeiten ihres Schöpfers, über die Eleganz der kurvig geschwungenen Linien, mit der Mucha in Paris die Kunst des Werbeplakats auf einen Gipfel geführt und dem Jugendstil zu einer populären Blüte verholfen hat. Die französischen Hersteller von Luxuswaren rissen sich um Muchas Entwürfe, denn er verstand es, feilgebotene Objekte durch sphinxhaft lockende Puppengesichter, lustvoll hindrapierte Frauenleiber und einen imposanten Artenreichtum im animalisch-vegetabilischen Dekor mit erotischen Aromen zu versehen.Foto: Job/Bibliothèque nationale de France, Paris/ © Mucha Trust 2009, VG-Bild-Kunst, Bonn 2009/MAK

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In seinen ersten Pariser Jahren hat der 1860 in Mähren geborene Alfons Mucha seine an Naturformen orientierte Variante des Jugendstils zu solcher Vollkommenheit entwickelt, dass sein Name zum Stilbegriff eines ganzen bildnerischen Kosmos werden konnte. Der "Style Mucha" war nicht nur in der Plakatgraphik begehrt, er ließ sich auf fast alle Genres des Designs anwenden.Foto: Die Natur, Bronze, vergoldet/Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel/ © Mucha Trust 2009, VG-Bild-Kunst, Bonn 2009

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Pariser Juweliere bestellten bei Mucha Schmuckstücke in den neuesten Ausprägungen des Stils. Ja der eifrigste Auftraggeber, Georges Fouquet, ließ gar seine Boutique für Künstlerschmuck in allen Details von Mucha entwerfen: Nicht nur der Mosaikfußboden und die mit Schnitzwerk und Textilien ornamentierten Wände, auch die hochaltarartigen Wandvitrinen mit ihren bizarr geschwungenen Metallappliken, der offene Schlund des Scheinkamins, der dreischalige Springbrunnen mit seinen wasserspeienden Seepferd-Bronzen, die überall herausknospenden Lampen und die Farbglasfenster - alles stammt aus einer Hand und wird heute im Musée Carnavalet in Paris als Schatz verwahrt. In der Hypo-Kunsthalle in München vermitteln Fotos in Originalgröße einen guten Eindruck von diesem wohl brillantesten Gesamtkunstwerk des Pariser Jugendstils.Foto: Frau mit Margerite, bedruckter Vorhangstoff/Bibliothèque Forney, Paris/ © Mucha Trust 2009, VG-Bild-Kunst, Bonn 2009

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Ein anderes, räumlich noch umfangreicheres Hauptwerk der Pariser Zeit konnte mit den erhaltenen Wandbildern in der Wanderausstellung sogar rekonstruiert werden: der zentrale Saal jenes Pavillons, den die österreichisch-ungarische Regierung auf der Pariser Weltausstellung 1900 für das von ihr damals verwaltete Land Bosnien-Herzegowina hat errichten lassen - ein Architekturmonstrum, das mit der Bezeichnung "türkisch-tirolerisch" wohl am besten charakterisiert ist. Dass es damals dennoch mit einem zweiten Preis ausgezeichnet worden ist, dafür sorgte der monumentale Bilderzyklus zur Geschichte des Landes, mit dem Mucha die obere Wandzone dieses Saals ausgestattet hat. In diesem fortlaufend erzählten Nationalmythos triumphiert Muchas graphisches Genie, seine Kunst des formenfassenden Lineaments, der harten graphischen Stege und der flächig eingefügten Farben noch einmal im größtmöglichen Maßstab.Foto: Ansicht des Pavillons für Bosnien Herzogowina in der Mucha-Ausstellung im Belvedere, Wien 2009 /Belvedere/APA-OTS/Ludwig Schedl

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Eine Ausstellung über Mucha wäre aber nur Stückwerk, wenn die andere Seite des Künstlers - der hyperrealistische Zeichner, der Illustrator phantastischer Geschichten, der visionsmächtige Symbolist - ausgespart bliebe. Mit den bescheidenen Mitteln des Bleistifts oder der Kreide hat Mucha einige Spielarten des Comics und des Fantasy-Films vorweggenommen. Das Handwerk für diese Form der Vergegenwärtigung von Geschehnissen hat er nicht in den Akademien in München und Paris erlernt, sondern schon um 1880 in den Kulissenwerkstätten der Wiener Theater.Foto: Alfons Mucha, Selbstportrait mit Palette © Mucha Trust 2009, VG-Bild-Kunst, Bonn 2009

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Die Serie der kraftvollen Zeichnungen beginnt 1892 mit den Illustrationen zu einem Anekdotenwerk über Deutschland: "Scenes et Episodes de l'Histoire d'Allemagne": Mucha hat zu den vorwiegend grausig-düsteren Geschehnissen Bilder von suggestiver Originalität erfunden, die in ihrer gestischen Eigenwilligkeit großen Horrorfilmen entlehnt sein könnten.Foto: Tod der Braut des Hasanaga © Mucha Trust 2009, VG-Bild-Kunst, Bonn 2009/Nationalgalerie Prag

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Fünf Jahre später ergeht sich Mucha auf den 134 lithographischen Blättern des Mittelalterromans "Ilsée, Princesse de Tripoli" zwar noch einmal im dekorativ bunten Ornamentstil seiner Plakate, doch in einzelnen fensterartigen Ausblicken lässt er aus atmosphärischen Schwarzweiß-Nebeln Figuren von rätselhaft phantastischer Präsenz erwachsen, wie sie sich dann in seinen sieben symbolistischen Paraphrasen zum Vaterunser mit elementarer Kraft den Klüften der Erde entwinden, um in die Lichtzone über den Horizonten aufzusteigen. In diesen magischen Bleistiftskizzen, die manche Schaueffekte gefeierter Fantasyfilme blass aussehen lassen, bewegt sich Mucha auf einem visionären Niveau, wie es allenfalls Doré in seinen besten Illustrationen zu Dantes "Inferno" und Max Klinger in seinen surreal-phantastischen Bilderzählungen erreicht haben.Foto: Der heilige Berg Athos/ Galerie der Hauptstadt Prag/ © Mucha Trust 2009, VG-Bild-Kunst, Bonn 2009/Alfred Weidinger

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Im Jahr 1910 kehrt Mucha, der Europäer, der auch in Amerika gefeiert wird, endgültig in seine tschechische Heimat zurück, um ein altes Versprechen einzulösen und seinem Land einen Zyklus von nationalen Historienbildern zu schenken. Im achteckigen Primatorensaal des Prager Repräsentationshauses, dieses Meisterwerks der Ausstattungskünste, komponiert er Figuren, Szenen und Allegorien aus der tschechischen Geschichte mit großem inszenatorischem Schwung in die Kuppel hinein und auf die Wände. Und in den Großformaten des als Raumkunstwerk gedachten "Slawischen Epos" schichtet er um 1929, von seinen Jugendstil-Manierismen nun unendlich weit entfernt, mit großer Kraft die Momente der slawischen Geschichte hinter- und übereinander.Foto: Slavische Einigkeit, Entwurf für das Deckengemälde des Primatorensaales im Repräsentationshaus der Stadt Prag/ Galerie der Hauptstadt Prag © Mucha Trust 2009, VG-Bild-Kunst, Bonn 2009

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Von diesen beiden fest installierten Kunstzyklen kann eine Ausstellung in München natürlich nur Fragmente, Skizzen und Vorstudien zeigen. Doch auch sie machen klar, mit welcher Entschiedenheit sich Mucha von seiner Erfolgszeit als Jugendstil-Designer losgesagt und der sinnlichen Aufarbeitung abstrakter Staatsideen zugewandt hat. Die heftigen Entwurfszeichnungen zum Slawischen Epos in einem der letzten Säle des Rundgangs sind wohl das Stärkste, was die Ausstellung zu bieten hat. Auch da glaubt man, dass die Bilder nur in Bewegung gesetzt werden müssen, um ein nationales Meisterwerk der Filmkunst, wie "Birth of a Nation" von Griffith, zu generieren.Alfons Mucha. Retrospektive. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München bis 24. Januar. Info: 089 - 22 44 12. Der Katalog zur Ausstellung kostet 29 Euro. Foto: ddp

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