Im Kino: Whatever works:Mögen wir uns?

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Ein Menschenfeind, viel Künstlichkeit, Pappkameraden und Plattitüden: Woody Allens neuer Film entlarvt sich als das Feelgood-Movie, das er nicht sein wollte.

Tobias Kniebe

Eine verbeulte graue Jacke überm uraltes T-Shirt, das halb aus der Hose hängt. Dazu Brille und Halbglatze und ein Gesichtausdruck wie ein offenes Magengeschwür. So schlurft Boris Yellnikoff, knapp über sechzig, etwas hinkend, durch sein Chinatown-Viertel aus Backsteinhäusern und Coffeeshops. Nette Gegend eigentlich. Und hey, im Grunde sogar ein netter Kerl. Selbst wenn er alles tut, um jedermann sofort vom Gegenteil zu überzeugen. Sein Ruf als Menschenfeind ist ihm wichtig. So wichtig, dass er uns gleich direkt darauf anspricht.

Menschenfeind Larry (Larry David) macht Bekanntschaft mit einer hübschen 21-jährigen Blondine (Evan Rachel Wood), die obdachlos in seinem Hauseingang herumlungert. (Foto: Foto: dpa)

"Warum sollten Sie meine Geschichte hören wollen? Kennen wir uns? Mögen wir uns? Lassen Sie mich eins gleich sagen: Ich bin nicht der sympathische Typ. Charme stand noch nie auf meiner Prioritätenliste. Und damit Sie's gleich wissen, dies ist nicht der Feelgood-Film des Jahres. Sollten Sie einer dieser Idioten sein, die sich immer gut fühlen müssen, probieren Sie's mit einer Fußmassage."

Es ist, einerseits, nicht Woody Allen, der hier spricht. Sondern vielmehr ein anderer großer, ein paar Jahre jüngerer jüdischer Komiker, den Allen sich für "Whatever Works" mal ausgeborgt hat: Larry David. Die menschenfeindliche Oberfläche hat David, genau wie seine bequemen Turnschuhe, aus Los Angeles mitgebracht. Dort besteht seine Hauptaufgabe darin, sich äußerst nah an der eigenen Lebenswirklichkeit durchs Fernsehen zu improvisieren, in der Serie "Curb Your Enthusiasm / Lass es, Larry!". Die widmet sich den Abgründen unter jener dünnen Schicht der Verlogenheit, die wir gemeinhin als Alltag bezeichnen (SZ vom 30.1. 2009). Darum geht es hier allerdings nicht.

Denn andererseits spricht natürlich doch Woody Allen, durch Larry David hindurch. Und immer dann, wenn Woody Allen in die Kamera spricht, noch dazu in Manhattan, seinem Stammrevier, gibt das Anlass zur Hoffnung. Hat sich nicht auch Alvy Singer, der legendäre "Stadtneurotiker", seinerzeit vertrauensvoll an uns gewandt, um die menschliche Existenz als ein ganz schlechtes Essen zu bezeichnen, von dem wir eine viel zu kleine Portion abbekommen? Daraus wurde dann eine definitive Analyse des Lebens - an einem ganz bestimmten Ort, zu einer ganz bestimmten Zeit, durch einen ganz bestimmten Mann.

Aber warum, fragt jetzt natürlich der Menschenfeind in uns, der auch nicht von schlechten Eltern ist - warum sollte so etwas Wunderbares, so viele Jahre später, einfach noch einmal gelingen? Und ausgerechnet diesem Gewohnheitstier Woody Allen, das nicht nur seit Jahrzehnten die gleiche Cordhose und die gleiche Brille trägt, sondern auch Jahr für Jahr einen Film drehen muss, nach der immergleichen Routine? Existiert für so einen überhaupt noch die Zeit, im Sinne einer Zeitgenossenschaft? Oder der Ort, in Sinne einer gelebten Erfahrung? Wohl eher nicht. Weshalb Allen dann, wie hier, durchaus auch ein altes, nie benutztes Skript vom Ende der siebziger Jahre wieder aufwärmen kann.

Es geht dann so weiter, dass sich alle Befürchtungen zunächst bewahrheiten. Boris Yellnikoff hört nicht auf, seine Mitmenschen als Dummköpfe zu beschimpfen: Zwischendrin erklärt er, dass er selbst ein Genie ist, eine ehemalige Koryphäe der Quantenphysik. Der Nobelpreis ging ihm einst nur knapp durch die Lappen. Nun muss er dem Nichts unserer Existenz ins Auge sehen. Darin liegt ein gewisses komisches Potential. Es reicht für ungefähr fünf Minuten.

Lesen Sie auf Seite 2, was so absurd ist an diesem Film.

Sodann drängt sich eine hübsche 21-jährige Blondine (Evan Rachel Wood) in sein Leben. Eine ehemalige Schönheitskönigin aus dem tiefreligiösen Süden der USA, die nun obdachlos in seinem Hauseingang herumlungert und ihn um eine Mahlzeit anbettelt. Das ist absurd genug - aber wäre es dem Film auch nur halbwegs ernst mit seiner Prämisse, dann müsste der Menschenfeind sie ungerührt vor seiner Tür stehen lassen. Tut er aber nicht.

Stattdessen zieht sie bei ihm ein, erkennt großäugig und wissbegierig, dass der alte Knacker ein Genie ist, von dem sie noch viel lernen kann, irritiert und beglückt ihn mit ihrer unbeschwerten Lebensfreude, verliebt sich in ihn und macht ihm einen Heiratsantrag. Er nimmt an. Und so, wie alle Gegensätze dann plötzlich nur angelegt sind, um heimelig zueinander zu finden, so tauchen später auch noch die ultrakonservativen, strenggläubigen und waffenlobbyistischen Eltern des Mädchens auf - Karikaturen, die vom freien nihilistischen Geist New Yorks erst befreit und dann ihrer wahren sexuellen Bestimmung zugeführt werden müssen.

Whatever works - eine Formel fürs Glücklichwerden

Falls so etwas wie genaue Menschenbeobachtung, Zeitgenossenschaft und Ortsgebundenheit einmal zentral für das Schaffen Woody Allens waren, dann hat er diese Marotten schon vor Jahren aufgegeben - das sieht man hier wieder in aller Deutlichkeit. Sein Alterswerk stellt eher eine ganz andere Frage: Ob man nicht auch ein fröhliches Gemenge von Künstlichkeit, Pappkameraden und Plattitüden zu einer neuen, alternativen Form der Wahrheit verdichten kann. Schon bei "Vicky Cristina Barcelona" stand diese Möglichkeit im Raum - unklar blieb allerdings, ob Allen da überhaupt das Bedürfnis hatte, unter der spanischen Slapstick-Oberfläche irgendwelchen Wahrheiten nachzujagen.

Hier ist das anders, da steckt die Wahrheit im Grunde schon im Titel. Und Boris tut uns den Gefallen, in seiner Schlussbetrachtung, umgeben von lauter bunten, unwahrscheinlichen Beziehungskonstellationen, noch einmal auszusprechen, was der Mensch nun wirklich braucht: "Jedes bisschen Liebe, was er kriegen oder geben kann; jedes kleine Glück, jede flüchtige Gunst des Schicksals; whatever works." Whatever works - das ist nun allerdings eine Formel fürs Glücklichwerden, der man schwer widersprechen kann. Dort einmal angekommen, entlarvt sich der Film dann tatsächlich als das Feelgood-Movie, das er nicht sein wollte, und aus all seinen seltsamen Bestandteilen setzt sich plötzlich etwas zusammen, von dem man sagen muss: It works. Whatever.

Wie schon der Stadneurotiker Alvy Singer einst prophezeit hat, passieren manchmal seltsame Dinge mit den Menschen. Woody Allen zum Beispiel könnte, um bei Alvys Beispiel zu bleiben, im Alter zu der Überzeugung gekommen sein, er sei ein Huhn. Dieses Huhn legt jedes Jahr ein Ei und wirkt dabei besonders auf junge Frauen unwiderstehlich. Die Frage ist natürlich, warum wir den Mann nicht einfach einweisen. Darauf gibt dieser Film die einzig angemessene Antwort: Wir brauchen halt die Eier. Immer noch.

WHATEVER WORKS, USA 2009 - Regie und Buch: Woody Allen. Kamera: Harris Savides. Schnitt: Alisa Lepselter. Mit Larry David, Evan Rachel Wood, Patricia Clarkson, Ed Begley Jr. Verleih: Wild Bunch, 92 Minuten.

© SZ vom 02.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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