Im Kino: "Min Dit":Ein Märchen so grausam

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Der kaltblütige Killer ihrer Eltern ist ein ganz normaler Mann, der mit seinem Sohn scherzt und seine Frau betrügt: Gülistan muss sich zwischen Rache und Befreiung entscheiden.

C. Schlötzer

Dieser Film ist ein Märchen, so grausam wie Hänsel und Gretel, aber mit einem viel besseren Schluss. In diesem türkischen Spielfilm sprechen die meisten Menschen Kurdisch, was vor kurzem auch noch im Bereich des Märchenhaften lag. Nun wird das Drama mit türkischen Untertiteln gezeigt, in der Türkei, wie sonst die Thriller aus Hollywood. Doch bevor "Min Dit" am 30. April in die Kinos in Istanbul kommt, kann man "Die Kinder von Diyarbakir" schon in Deutschland sehen. Denn der Regisseur ist ein Migrant, ein Wanderer zwischen den Welten. Miraz Bezar macht daraus eine künstlerische Tugend, er blickt auf sein Herkunftsland mit der Distanz eines Fremden und entdeckt es mit der Zärtlichkeit des Vertrauten.

Die Opfer bleiben traumatisiert, auch wenn die Mörder keine Macht mehr über sie haben - das zeigt der Film "Min Dit". (Foto: Foto: Verleih)

Ich habe es gesehen

Bezar ist Kurde, geboren 1971 in Ankara, aufgewachsen in Deutschland. Seine politisch engagierte Familie verließ nach dem Militärputsch von 1980 die Türkei. Gülistan und Firat, das kurdische Geschwisterpaar, dessen Eltern von türkischen Paramilitärs erschossen werden, könnten auch andere Namen tragen. Sie könnten auch auf einer Staubstraße in Afghanistan oder im Irak Vater und Mutter verlieren. Das Auto, in dem die Familie von einer Hochzeit nach Hause fährt, wird von einer nächtlichen Straßenkontrolle gestoppt. Die angeblichen Verkehrspolizisten gehören zum Gendarmerie-Geheimdienst Jitem, dessen Existenz in der Türkei lange geleugnet wurde.

Nach den Schüssen ist es still im Auto, und Gülistans weit aufgerissene Augen sehen aus, als wollten sie sich nie mehr schließen. Min Dit heißt so viel wie "Ich habe es gesehen", ich bin Zeuge. Gülistan wird den Mörder ihrer Eltern später auf den Straßen der südosttürkischen Kurdenmetropole Diyarbakir entdecken. Der kaltblütige Killer ist ein ganz normaler Mann, der mit seinem kleinen Sohn scherzt, wenn er vom Dienst kommt, der mit den Nachbarn vom Balkon herunter über Fußballtore plaudert und seine Frau betrügt. Die traditionellen Netzwerke der Familien sind zerrissen. Die Stadt ist mit dem Krieg in den Dörfern zu einer Millionenmetropole angewachsen, in der auch Kinder und Jugendliche ohne Familien ums Überleben kämpfen müssen.

Tötungen und Folter

Wie sich Gülistan dann zwischen Rache und Befreiung entscheidet, ist das eigentlich Wunderbare an diesem bewegenden Drama. Yasar Kemal, der große anatolische Romancier hat die Geschichte vom Wolf erzählt, vor dem sich kein Tier mehr fürchten muss, weil man ihm eine Schelle um den Hals gehängt hat, auf dass ihn jeder hören kann. Das Märchen wird zum Leitmotiv des Films. In der Türkei wurden die Schandtaten von Jitem, die illegalen Tötungen und Folterungen, erst in jüngster Zeit an die Öffentlichkeit getragen, die Täter wurden exponiert, wie der Wolf mit der Schelle. Die Opfer aber bleiben traumatisiert, auch wenn die Mörder keine Macht mehr über sie haben. Auch das zeigt Bezar.

Min Dit ist trotz einiger Sprünge ein beeindruckendes Spielfilmdebüt. Die Laiendarsteller lassen vergessen, dass sie keine Profis sind, aber vergessen selbst nie, dass sie sich selbst auf den Straßen von Diyarbakir durchgeschlagen haben. Bezar zog Ende 2005 von Berlin, wo er an der Film- und Fernsehakademie studierte, nach Diyarbakir. Seine Geschichte entwickelte er dort mit seiner kurdischen Co-Autorin Evrim Alatas, die vor zwei Wochen mit nur 34 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben ist.

Weil das Geld nicht reichte, verkaufte die Mutter von Bezar ihr Haus. In Deutschland half Fatih Akin mit seiner Produktionsfirma - er ist so etwas geworden wie ein großer Bruder für den deutsch-türkischen Film-Nachwuchs. Nachdem der Bösewicht vernichtet ist, könnte die Geschichte enden. Aber Bezar weiß, dass das zu einfach wäre, spätestens in Diyarbakir hat er das gelernt. Gülistan und Firat gehen nach Istanbul, aber das wird kein Märchen werden.

MIN DIT, D/Türkei 2009 - Regie: Miraz Bezar. Buch: Miraz Bezar, Evrim Alatas. Mit: Senay Orak, Muhammed Al, Suzan Ilir. mîtosfilm, 102 Minuten.

© SZ vom 26.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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