Im Kino: Bal - Honig:Mond im Eimer

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Der Berlinale-Gewinner "Bal - Honig" beschwört eine dem Untergang geweihte ländliche Welt in Nordostanatolien herauf. Doch der Bilderreigen ist nicht mehr als ein Abziehbild.

Rainer Gansera

Der Vollmond, der sich in einer Pfütze spiegelt. Ein in zahlreichen Poemen evoziertes Bild. Das unendlich Große, das sich im Kleinen spiegelt. Für Zenmeister Dogen war es das Bild der Erleuchtung: "Der Mond wird nicht nass, das Wasser bewegt sich nicht."

"Bal - Honig" erzählt von einer großen, geheimnisvoll raunenden Welt, die sich in Kinderaugen spiegelt, in den Augen eines Jungen, der in der Dorfschule beim Vorlesen stottert: Bora Altas als Yusuf. (Foto: ddp)

In Bal - Honig, dem fünften Spielfilm des türkischen Filmemachers Semih Kaplanoglu, geht der siebenjährige Yusuf (Bora Altas) eines Nachts vor die Tür und sieht, wie sich der Vollmond in einem Wassereimer als kleiner Ball spiegelt. Zuerst versucht der Junge, den Mond mit den Händen aus dem Wasser zu schöpfen, dann mit dem Mund. Und die Kamera blickt so lange in den Eimer, bis sich das Wasser beinahe wieder geglättet hat.

Hübsch anzuschauen, diese kindliche Variante des Motivs, aber die Art, wie Kaplanoglu die Poesie hier gleichsam herbeizwingen will, verflacht und verdirbt die Szenerie, macht sie zum Poesie-Poster. So ist es mit einem Großteil des Bal-Bilderreigens: Er bleibt Reminiszenz und Abziehbild. Das Bild des Jungen, der den Mond erhaschen will, wird zum Bild des Regisseurs, der vergeblich nach dem Poetischen greift.

Bal - Honig, dekoriert mit der höchsten Berlinale-Auszeichnung, dem Goldenen Bären, umrankt von hymnischem Rezensentenlob, bedient nostalgische Sehnsüchte eines großstädtischen Publikums: Sehnsucht nach Kindheit, nach dem Ursprung, nach intimer Naturnähe. Wenn das Mainstream-Kino die Imagination mit Popcorn und Zuckerwatte füttert, dann offeriert Bal dem Arthouse-Publikum einen Teller mit Bio-Keksen, an deren Symbolgehalt es zu knabbern hat.

Semih Kaplanoglu beschwört eine abgelegene, dem Untergang geweihte ländliche Welt in Nordostanatolien, wo der Vater Yusufs als Imker seine Bienenkörbe in die Wipfel mächtiger Waldbäume platziert, und die Mutter auf einer Teeplantage arbeitet. Eine große, geheimnisvoll raunende Welt, die sich in Kinderaugen spiegelt, in den Augen eines Jungen, der in der Dorfschule beim Vorlesen stottert, aber seinem träumerischen Wesen gemäß zum Dichter berufen ist. Wenn eine Klassenkameradin, am Fenster des Dorfschulzimmers sitzend, ein Gedicht (es ist von Arthur Rimbaud!) rezitiert, kann er sich jeden Vers merken und aufsagen.

Träume darf man nur flüstern

Von Yusufs späterem Dichterleben erzählte Kaplanoglu schon in "Yumurta/Ei", 2007, und "Süt/Milch", 2008. Zur Mutter hält Yusuf Distanz. Das Milchglas, das sie ihm jeden Morgen serviert, schiebt er von sich, und er erfindet immer neue Vorwände, die Milch nicht trinken zu müssen. Der Vater hilft ihm dabei. Mit dem Vater verbindet ihn innige Komplizenschaft, bei der man sich die entscheidenden Dinge zuflüstert. Einmal, als Yusuf einen Traum erzählen will, ermahnt ihn der Vater, das nur flüsternd zu tun, denn es kann gefährlich sein, Träume laut auszusprechen. Die Mutter freilich erzählt ihren Traum laut und prosaisch dahin. Aus der Nähe zum Vater, zum Waldgänger, entsteht die dichterische Berufung.

Im Prolog steigt der Vater an einem Seil hoch in einen Baum - und als der Ast bricht, hängt er schwebend am Seil. Wie die Erzählung, die nicht im dramatischen Sinn durchformuliert wird, sondern wie aus einem Bilderbogen traumartiger Erinnerung errätselt werden muss. Das fragmentierte Erzählen gebiert ein reichhaltiges symbolisches Bedeuten. Piktural formt Kapanoglu in gemäldeartigen Kompositionen vor allem eine Szene: den dunklen Raum, der von einigen Lichtstrahlen erhellt wird. So in der Dorfschule, im Stall, in der Küche, sogar im Wald. Jeder Raum wird zur sehnsuchtsgebärenden Höhle mit Sonnenlichtverheißung für den scheuen, verträumten, in sich gekehrten Jungen, der in der Schulpause allein am Fenster bleibt und den Mitschülern beim Fußballspielen zuschaut.

Motivisch werden archetypische, poesieverheißende Bilder aufgereiht: der weiße Esel im dunklen Wald, der Blickkontakt mit dem plötzlich innehaltenden Rehbock, der Wald atmet und Yusuf atmet, der Vater hängt wie das mythische Opfer am Baum, und der Sohn kuschelt sich zum Schluss, tief im Wald schlafend, ins Wurzelwerk eines Baumes. Märchenhaft ist Kaplanoglus Wald nur im adjektivischen Sinn, nicht substanziell. Nicht so wie beim Zauberwald des Thailänders Apichatpong Weerasethakul, auch nicht so wie bei den Landschaften des türkischen Meisterregisseurs Nuri Bilge Ceylan, die zum eigenwilligen Poesie-Universum entfaltet werden. Kaplanoglus Bilder verlieren sich in einem gesuchten Kunstwollen und verspielen dabei ihren Gehalt, wie bei dem Griff nach dem Vollmond im Wassereimer.

BAL, Türkei / D 2010 - Regie: Semih Kaplanoglu. Buch: Orçun Köksal, Semih Kaplanoglu. Kamera: Baris Özbiçer. Mit: Boras Altas, Erdal Besikçioglu, Tülin Özen, Ayse Altay, Alev Uçarer, Özkan Akçay. Piffl Medien, 104 Minuten

© SZ vom 14.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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